Weil doch alles anders werden will …

Eine Überlegung war, das Ganze »Mystic Turning« zu nennen, ich bin aber wieder davon abgekommen.
Denn kaum jemand kann mit dem Wort Mystik etwas anfangen; es produziert zu viele Missverständnisse. Also: »Ontologie.Projekt«.

Warum diese seltsame Schreibweise?
Weil schon der Name auf die notwendende Strukturänderung hindeuten soll.

Und was ist Ontologie? Mein guter alter Brockhaus definiert: “Die philosophische Grunddisziplin der Seinswissenschaft oder Lehre von Seienden. Ihre Aufgabe ist es, nach den Prinzipien des im allgemeinen, unreflektierten Wirklichkeitsverständnis fraglos hingenommenen Bestandes des Gegebenen zu fragen.”

Alles Folgende ist ein Herantasten an das schwierige Thema, der Versuch, mir und anderen zu verdeutlichen, worum es mir geht, was ich meine; wohin die Reise gehen kann und (hoffentlich) sollte.

Wir alle kennen das …

Wir alle kennen, wenn auch selten, diese besondere Wahrnehmung der Welt. Befinden wir uns darin, dann ist das für andere nicht erkennbar. Wir wirken wie sonst auch, allenfalls weniger distanziert, eher verwandter und näher. Es ist eine kindlich freundliche Wahrnehmung, ein Mit-Der-Welt-Sein. Dann fühlen wir uns in der Welt zu Hause und geborgen, so als zwitscherten die Vögel und blühten die Blumen und rauschten die Bäume für uns. Dann begegnen wir dem Blick der Wolken, die zu uns herabschauen und nicht fremd dort oben ziehen, dann laden sie uns ein auf ihre Wolkenrücken, damit wir in eine Ferne ziehen, die erreichbar in uns wohnt. Das fühlt sich an, als hätte sich eine Tür aufgetan, von der wir nicht einmal wussten, dass es sie gibt, eine Himmelstür, eine Erdentür.

Und doch ist das kein Traumzustand, sondern eine ganz andere, weitere, intensivere Form von Wachheit, in der wir rechnen und schreiben, arbeiten und programmieren können, nur stärker und unbegrenzter als sonst, weil wir mehr, ja ganz, bei uns sind. Es ist ein Zustand, in dem wir nicht mehr kämpfen müssen, sondern in dem sich die Dinge fügen. Und ein Zustand, in dem wir wirklich lieben und ganz sein können.

Eine erste Annäherung

Nein, diese Überschrift, so sehr sie einer ähnelt, ist keine. Sie fasst nichts zusammen, liefert allenfalls Stichworte, wirkt „nach unten“ in den Text hinein, und der Text klimmt nach oben und keimt in den drei Lücken zwischen den Worten und den dreißig Buchstaben. Die Kommata und später die Punkte sind Pflanzlöcher, größere Verschnaufpausen, durch die hindurch – wie durch die kleinen Lücken – Sinn entsteht und wieder verraucht.

Wohin?

Seit einer geraumen Weile denkt es in mir über die neue Ontologie nach, die wir so dringend brauchen, keinen Paradigmenwechsel, der sich so leicht dahinsagen und einfordern lässt, sondern tatsächlich ein neues Verständnis für das Wesen des Seins und, sich daraus entwickelnd, einen anderen Umgang mit unserer Mitwelt, der sich so sehr von allem Bisherigen unterscheidet wie Traumwelt von Alltagswelt, eine neue, geistig-seelische Weltordnung ­­– einen Quantensprung im Bewusstsein.

Es geht also um nichts weniger als um einen Ontologiewechsel. Vielleicht könnte man auch formulieren: einen mystischen Quantensprung. Ein paar Sätze zum Ausgangspunkt, nein zur Ausgangsebene, die so selbstverständlich unser tägliches Sein bestimmt, dass es schwerfällt, sie sprachlich fassend der bewussten Wahrnehmung zuzuführen: Wir schlafen ein und erwachen, schlafen ein und erwachen, unser ganzes Leben lang. Dieser Rhythmus unserer geistigen Bewegung verläuft Tag für Tag in eine Richtung: von der Traumwelt zur Wirklichkeit bzw. zu dem, was wir so nennen. Im abgrenzenden Begriff der Wirklichkeit spiegelt sich eine unüberhörbare Überheblichkeit gegenüber der Traumwelt, eine Überheblichkeit, die ich nicht übernehmen möchte. Ich werde die beiden Wirklichkeiten deshalb im Folgenden entweder einfach Nacht und Tag oder Traumwirklichkeit und Standardwirklichkeit nennen.

Dieser Richtungsverlauf von der Nacht zum Tag durchzieht unsere komplette Weltanschauung. So wie wir der Traumwirklichkeit entkommen wollen, so sollen wir der Kindheit entrinnen, den Idealen der Jugend, den romantischen Gefühlen und einer anarchischen Weltwahrnehmung. Ziel ist eine vorgestellte „höhere Plattform“ der Standardwirklichkeit, von der herab wir auf die Welt schauen: erwachsen, objektiv, wissenschaftlich, nüchtern, diszipliniert und eingeordnet in eine logisch erklärbare, durchstrukturierte Welt, die Emotion, Gefühl und Intuition lediglich einen Unterhaltungswert zuweist. Weg also von der Nacht, hin zum Tag, zu gedanklicher Klarheit und patriarchaler Würde. Kein Zulassen des Seins, sondern ein verfasstes Sein, ein Hülsen-Sein.

Und doch ist diese Ausrichtung unserer lebenslangen, inneren Orientierung schon bei einem oberflächlichen Blick irreführend. Denn wir kommen nicht aus dem Tag und wir enden nicht im Tag, sondern in der Nacht bzw. einer zeitlosen Traumwirklichkeit, der wir anfangs entstiegen sind.

Was würde nun bedeuten, wenn wir vom Tag zur Nacht hin lebten, wenn nicht eine turmhohe Ratio das Ziel unserer täglichen, inneren Ausrichtung wäre, sondern zeitentiefe Intuition; wenn wir den allbestimmenden Zeitpfeil in Frage stellten, wenn wir uns innerlich nicht bewegten wie ein technikgetriebenes Schiff auf den jeweils nächsten Hafen zu, sondern wie das allgetriebene Meer und seine Gezeiten? Was würde das bedeuten hinsichtlich der großen Komplexe Arbeit, Bewusstsein, Bildung, Erziehung, Gewalt, Industrie, Justiz, Kommunikation, Mann/Frau, Mitwelt, Sexualität, Sprache, Werte und Wirtschaft?

Und als letzte große Frage: Was machte es mit unserer Vorstellung des Heiligen? Auf jeden Fall würde es aus den konfessionellen Katakomben an die frische Luft geholt. Würde es am Ende bedeuten, das Ziel allen Denkens und Handelns wäre ein heiliges Leben, die in den Alltag übersetzte Ultima Intuitio?

Was bedeutet die Denk-Richtung Nacht-Tag?

In der Standardwirklichkeit denken und leben wir von der Nacht zum Tag hin. Das bedeutet,

  • in Richtung Wenn-Dann zu denken
  • in Richtung Entweder-Oder
  • Freund – Feind
  • in Richtung Besser-Als
  • Subjekt-Objekt-Trennung
  • Null oder Eins

Das bedeutet auch

  • gedanklich ein genaues Ziel anzusteuern
    – z.B. das Bremer Rathaus besichtigen wollen statt Bremen kennenzulernen
    – z.B. ein Gedankengebäude errichten wollen statt ein Gedankenbiotop
  • 2 + 2 = 4
  • Theoriebildung
  • Ideologie
  • Religion und Konfession
  • Grenzen
  • Abgrenzung

Was würde eine Umkehrung der Denk-Richtung Tag-Nacht in all diesen Fällen bedeuten?

Ein ganz praktisches Beispiel (aus meinem Leben)

Nacht-Tag-Denken / Standardwirklichkeit

Der Spaziergang des Großvaters mit der kleinen Enkelin, um seinen Sohn und seine Schwiegertochter zu entlasten. Der Großvater trägt die Kleine auf seinem Rücken auf einem Waldpfad von A nach B und wieder zurück, möglichst langsam und gleichmäßig, um die Enkelin in den Schlaf zu wiegen und viel Zeit für Sohn und Schwiegertochter herauszuschinden.

Tag-Nacht-Denken / Traumwirklichkeit

Der Spaziergang des Großvaters mit der Enkelin und der Enkelin mit dem Großvater. Ihr Vertrauen, seine Dankbarkeit, seine Wärme an ihrem Leib, ihre Wärme an seinem Rücken, ihre runde Stirn zwischen seinen Schulterblättern. Das gemeinsame Nichtwissen, was all dies bedeutet jenseits des Zwecks, ergänzend zum Zweck des Spaziergangs, den Zweck aufhebend, auflösend. Die warme Sonne auf uns beiden und das Flirren zwischen den Ästchen und Blättern beim Gang durch den Wald wie ein Wogen, ein leichtes Wogen bei mildem Seegang. Links zwischen den Bäumen das Hellblau des Mains, zurück dann rechts, ein wenig dunkler schon nach einer Stunde. Mein Atem, ihr Atem, der Atem des Waldes um uns, leichtes, feines, wisperndes Rauschen in den Wipfeln. Was wäre, wenn wir jetzt fliegen könnten? Aber tun wir das nicht, auch hier, am Boden, zwischen den Wurzeln und doch so leicht? Ein Zug rauscht links von mir und fern vorbei, jenseits des Flusses, ob es die Kleine stört in ihrem Schlaf? Mein Körper lauscht nach ihren Reaktionen, vernimmt ihr ein wenig lauteres Atmen und dann wieder tief und gleichmäßig und ihr schwerer Kopf so sanft an meinem Rücken. Wie meine Füße ihren Weg suchen, tastend und doch fest, um meinen Rhythmus und ihren Schlaf nicht zu stören; manchmal weht ein Duft heran, umkreist uns, umwölbt und umschmeichelt uns; als könnte ein Duft ein Flüstern sein. Wir sind unterwegs, das Vertrauen und das Vertrauende, das Große und Kleine, das Alte und Junge, und Stille regt sich in mir durch die Kleine, eine Stille, die anders wäre ohne sie, weniger zart, weniger zärtlich, weniger jedem Windhauch zugeneigt, eine Herzschlagstille, ein Lied zwischen uns, das von ihrem Schlaf, ihren Träumen erzählt.

Eine zweite Annäherung

Die Standardwirklichkeit liebt Grenzen, die mystische Wirklichkeit integriert sie.

Die eine Seite des Schlagbaums, die andere Seite des Schlagbaums.
Deutschland und Frankreich, Südtirol und Italien, Hawaii und die USA.

Bayern und Deutschland, Bayern und Österreich, Tessin und Italien.

Rebstock und Traube, Traube und Wein. Wasser und Wein. Wunder?

Ich und mein Spiegelbild.
Wo beginnt der Berg, wo endet das Tal?
„Der Berg und das Tal.“ Fünf Worte, zehn Grenzen, aber wie ist das mit den Grenzen zwischen
B, e, r und g? Sind die nicht auch da, aber wir denken sie nicht und machen deshalb daraus einen Berg? Oder ein Tal, oder ein Oder?

Hinter jedem Wort aber verbirgt sich eine Welt, eine Kultur, 1001 Geschichten und weitere Worte, die in diesem einen Wort mitschwingen. Prosa verbindet das Meer mit dem Land, die Wellen mit dem Strand, Gedichte sind Gespräche zwischen Welle und Meer. Lyrik hebt die Grenzeigenschaften der Worte auf. Gedichte sind Annäherungen an das Heilige. Gedichte öffnen Türen für das Heilige; das Heilige öffnet Türen für Worte, Farben und Klänge.

Am plausibelsten erscheinen uns physische Grenzen, die zwischen dir und mir, zwischen Vater und Kind, zwischen Mann und Frau, zwischen Feind und Feind, zwischen Experimentator und Versuchskaninchen. Aber: Gäbe es das eine ohne das andere? Noch genauer: Können wir das eine ohne das andere denken? Sind nicht auch physische Grenzen fiktiv? Zumindest in einem gewissen Sinn? Gibt es Experimentator und Versuchskaninchen ohne Versuchsanordnung? Ohne wissenschaftliche Fragestellung? Oder Antrag bei der Deutschen Forschungsgesellschaft?

Wo ist die Grenze des Gesangs? Lässt es sich auf Töne reduzieren? Auf eine Melodie? Gibt es Gesang ohne die Vögel, den Wind und das Meer?

Wo endet das Heilige? Wo sind seine Grenzen? Hat es einen Innen- und eine Außenseite? Ist das Profane wirklich das Gegenteil des Heiligen oder hat es das Heilige nur nicht verstanden?

Wofür brauchen wir Grenzen? Wir wollen sie zweckmäßig verwenden und gewandt missachten. Nicht alle Grenzen sind schlecht. Wir gehen lieber durch Türen als durch Wände. Meistens.

1 STUNDE FÜR DIE ZUKUNFT

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