Ich habe eine Weile überlegt, ob ich diese Rubrik “Perlensammlung” eröffnen soll, denn in gewisser Weise haftet ihr eine Beliebigkeit an, die nur durch die Tatsache meiner persönlichen Auswahl begrenzt wird. Trotzdem: Weisheiten, die manche Menschen  formulieren, sind wie leuchtende Sterne, und erst die Menge erleuchtet den Nachthimmel meiner Unvernunft …

Die moderne Gesellschaft

Der erste Mensch, der eine Wiese einzäunte und forsch verkündete: “Das ist mein Land!” und Leute fand, die dumm genug waren, es zu glauben, war der eigentliche Begründer der modernen Gesellschaft. Wie viele Kriege, Verbrechen, Morde, wie viel Elend und Feindschaft wäre der Menschheit erspart geblieben, wenn damals einer beherzt vorgetreten wäre, die Pfähle herausgerissen, den Graben aufgefüllt und allen zugerufen hätte: “Hört nicht auf die Behauptungen dieses Betrügers! Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte der Erde allen gehören und die Erde niemandes Besitztum ist!”

Jean Jacques Rousseau

Alle bisherigen „Perlen“ meiner Perlensammlung findest du HIER. Und darfst sie gerne weitergeben.

In der Tiefsee unserer Seele begegnen wir Ungeheuern und Leuchtfischen.

Bobby

ZEITLOSE PERLEN

Ein reifer Mensch ist bei sich. Er ist angekommen: in seinem Körper, in seinem Geist, in seinen Emotionen. Er fühlt so wie er denkt; und er handelt danach. Er ist gleichzeitig autonom und in den Kontext seiner Umgebung eingebettet. Er bildet sich eine eigene Meinung und stellt sie im Wert nicht über die Meinungen anderer. Er ist tolerant, aber nicht gleichgültig, mitfühlend, aber nicht „gefühlsduselig“.

Er hat seinen Platz gefunden, seine Mission: Er öffnet sich dem Unbekannten, damit es möglichst reibungsfrei durch ihn hindurch das tue, was es will („dein Wille geschehe“). Er hat erkannt, dass sich die Welt auch ohne ihn weiterdreht, ist sich seiner Vergänglichkeit bewusst und dennoch – oder gerade deswegen – wird er alles tun, damit sein Handeln zum Bestmöglichen für alles und alle im Universum wirkt.

Er begeistert und inspiriert die, die ihn verstehen, auch wenn das bisweilen bedeutet, dass er Leute vor den Kopf stößt, die nicht seine Werte teilen. Er korrumpiert sich nicht für Geld und versteht Macht als Verantwortung; er nutzt seine Lebensumstände nicht als Vorwand, um des Mammons wegen Kompromisse einzugehen, die ihm innerlich widerstreben. Das Unmögliche versuchen setzt er seine Messlatte bewusst hoch und kalkuliert mit einem Scheitern, das er als notwendig akzeptiert.

Er ist ein Kind seiner Zeit, genießt das Leben, aber lässt sich nicht einengen von dem so genannten Status Quo, sondern träumt von einer besseren, einer schöneren Welt. Diese Träume lassen ihn über sich selbst hinauswachsen, wenn er zweifelt; wieder aufstehen, wenn er gefallen ist, und handeln, auch wenn es ihm bisweilen erscheint, als kämpfe er gegen Windmühlen: die Windmühlen des Hasses, der Zwietracht, des Neids, der Wollust und viele mehr.

Und er weiß: alle Flügel der Windmühlen, gegen die er kämpft im Äußeren, trägt er selbst im Inneren. Er hat verstanden: innen und außen, individuell und kollektiv, beeinflussen sich überkomplex und wechselseitig. Er hat verstanden: „Das was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan.“

Er versucht, ganz Mensch zu sein, ist sich seiner Anteile bewusst und weiß: perfekt sein heißt tot sein. Der Weg ist das Ziel.

Alistair und Bobby Langer

Erleuchtung und die Weltkrise

von Vimala Thakar

Einleitung

Vimala Thakar wurde in Zentralindien in einer mittelständischen Brahmanenfamilie geboren, und ihre Leidenschaft für das spirituelle Leben erwachte schon früh. „Das Bewusstsein für ‚etwas Jenseitiges’ bildete sich bei mir im Alter von fünf Jahren,” schreibt sie und schildert, wie sie von zuhause fort in einen Wald lief, um Gott zu suchen und ihn anzuflehen, sich ihr zu offenbaren. Ihr Vater, ein kühner, unabhängiger Freidenker, förderte ihr spirituelles Interesse und unterstützte ihre Besuche in Ashrams, ihr Studium der Schriften und ihre Experimente mit spirituellen Praktiken. Von der Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter setzte sie ihre spirituellen Bestrebungen gewissenhaft fort und zog sich dann mit 19 Jahren für längere Zeit in eine Höhle im Himalaja zurück. Ihre zahllosen außergewöhnlichen Erfahrungen dieser frühen Jahre haben eine epische Aura wie die Erzählungen der Mahabharata.

Als junge Frau engagierte sich Vimala Thakar dann in der von Vinoba Bhave initiierten sogenannten „Landschenkungsbewegung” (Land Gift Movement). Gandhis spiritueller Nachfolger Bhave, der selbst als Heiliger angesehen wird, unterstützte dessen Mission und Vision einer neuen sozialen Ordnung. In unermüdlichem Einsatz für das Land-Gift-Movement, eine Bewegung, die Ländereien vor dem Zugriff der Reichen sichert, um sie an Bauern ohne Grundbesitz umzuverteilen, reiste Thakar über acht Jahre lang von Dorf zu Dorf quer durch ganz Indien.

1960 nahm sie auf Einladung eines Freundes an einer Vortragsreihe teil, die ein spiritueller Lehrer in Varanasi abhieltes war der legendäre J. Krishnamurti. Sofort bemerkte dieser im hinteren Teil der Halle die außergewöhnliche junge Frau, die so aufmerksam zuhörte und bot ihr ein Zusammentreffen an. Ihre Gespräche und privaten Unterredungen lösten einen Umbruch in Vimala Thakars Bewusstsein aus und katapultierten sie in eine tiefgründige Stille. „Etwas im Innern hat sich befreit. Es duldet keine Grenzen.” schrieb sie.„ Eine neue Bewusstheit ist eingedrungen, unwiderstehlich und unkontrollierbar … und hat alles fortgerissen.” Binnen nur eines Jahres hatte Krishnamurti ihre spirituelle Verwirklichung bestätigt und sie geradezu beschworen, selbst zu lehren: „Warum explodieren Sie nicht? Warum werfen Sie keine Bomben unter all diese verknöcherten Leute, die nur Irrwegen folgen? Weshalb fahren Sie nicht durch ganz Indien? Tut das etwa schon jemand? Nein, denn gäbe es auch nur ein halbes Dutzend solcher Leute, würde ich jetzt schweigen. Doch es ist keine Zeit zu verlieren … Gehen Sie hinausrufen Sie es von den Häusern und Dächern: „Ihr seid auf der falschen Spur! Das ist nicht der Weg zum Frieden!” … Wenden Sie sich den Menschen zu, entfachen Sie ihre Leidenschaft! Da ist niemand, der das tutnicht ein einziger. … Worauf warten Sie noch?”

In dem Augenblick, sagt sie, wurde „glühende Asche zu Feuer und Flamme”. Sie ließ das Land Gift Movement und den gesamten Bereich sozialen Engagements hinter sich, um ihre Aufgabe als spirituelle Lehrerin anzunehmen. Sie bereiste die Welt, hielt Vorträge und leitete Meditationscamps. In einem offenen Brief an Freunde und frühere Kollegen erklärte sie die Gründe, weshalb sie ihre Aufmerksamkeit nun ausschließlich der inneren Revolution zugewandt hatte: „Es gibt keine Worte für die Intensität und Tiefe der Erfahrung, durch die ich gehe. Alles hat sich verändert. Es ist, als sei ich neu geboren! … Meine Verbindung mit der Bewegung ist zu Ende. Heute scheint es mir, dass das wahre Problem das innere Problem vollkommener Freiheit ist! … Die einzige Rettung für die Menschheit besteht offenbar in einer religiösen Revolution des Individuums. … Und weil die Quelle allen Übels im Wesen unseres Bewusstseins liegt, werden wir uns damit befassen müssen. Alles, was unserem Verstand Jahrhunderte lang eingetrichtert wurde, muss nun vollständig aufgegeben werden. Die karmische Schwungkraft eines millionenfachen Gestern kann nicht leicht überwunden oder beseitigt werden, wenn wir versuchen, dies auf eine beiläufige Weise anzugehen, oder wenn wir uns nicht einmal damit auseinandersetzen.”

Während der folgenden zweiundzwanzig Jahre lehrte Vimala Thakar in mehr als zwanzig Ländern, und von ihren Büchern wurde eine stattliche Anzahl in zwölf Sprachen übersetzt. Obwohl sie für das umwelt- und sozialpolitische Tagesgeschehen der Welt stets ein sehr waches Interesse hatte, war und blieb ihre Lehre hauptsächlich auf die innere Revolution des Geistes gerichtet. Im Jahre 1979 jedoch lebte Thakars soziales Engagement wieder auf. Sie unterbrach ihre Lehrreise um die Welt für drei Jahre, um erneut in Indien Dörfer aufzusuchen, mit den Bewohnern über die Probleme vor Ort zu reden und Zentren zur Ausbildung in Agrarwirtschaft, Hygiene, lokaler Selbstverwaltung und aktivem demokratischem Bürgerrecht zu gründen. Nach dieser Unterbrechung setzte sie ihre Reisen ins Ausland fort, doch nun war die innere und die äußere Revolution in umfassenderer Weise das Zentrum ihrer Leidenschaft. Als der kalifornische Meditationslehrer Jack Kornfield sie einmal fragte, warum sie zur Entwicklungshilfe zurückgekehrt sei und wieder die Hungernden und Obdachlosen unterstütze, erwiderte sie: „Mein Herr, ich liebe das Leben, und deshalb kann ich mich von keiner Aktivität des Lebens ausschließen. Hungern die Leute nach Nahrung, dann werde ich mithelfen, sie zu nähren. Hungern sie nach der Wahrheit, dann werde ich ihnen dabei helfen, sie zu entdecken. Ich unterscheide nicht zwischen meinem Dienst an Menschen, die verhungern und deren physisches Leben ohne Würde ist, und meinem Dienst an Menschen, die ängstlich und verschlossen sind und deren mentales Leben würdelos ist. Ich liebe das gesamte Leben.”

Vimala Thakar empfing Einzelne und Gruppen, die sich auf den langen Weg gemacht hatten, um sie an ihrem Wohnort in Rajasthan oder in Ahmedabad, ihrem Winterquartier, aufzusuchen. Dort traf sie mit Menschen aus aller Welt zusammen, deren Bandbreite von Buddhisten und Yoga-Lehrern über Industrielle, Ökologen und indo-pakistanische Friedensaktivisten bis hin zu Parlamentsabgeordneten reicht. „Spiritualität ist der Same”, sagte diese erwachte Aktivistin, „und soziales Handeln ist die Frucht, die aus ihm reift”. Thakars Worte haben eine Glaubwürdigkeit und Echtheit, wie sie nur aus einem Leben, das rückhaltlos und einzig und allein der vollkommenen Revolution des menschlichen Geistes gewidmet ist, hervorgehen können.

Vimala Thakar starb am 11. März 2009 am Tag des indischen Farbenfestes.

Vimala Thakars Artikel

Zu vollkommener Revolution erwachen

In einer Zeit, wo es fraglich ist, ob die Menschheit überleben wird, den Status quo fortzuführen, bedeutet nichts anderes als zu Wahnsinn und Chaos beizutragen. Wenn Dunkelheit und Unwissenheit den Geist der Menschheit überfluten, dann ist es äußerst dringlich, dass Menschen, die berührt und betroffen sind, erwachen und sich zur Revolution erheben.

Die Klugheit des menschlichen Verstands hat uns zu der komplexen, erschreckenden und allumfassenden Krise geführt, der wir uns nun gegenüber sehen. Die gewohnten, auf einer begrenzten Sichtweise dessen, was den Menschen ausmacht, basierenden Lösungsversuche versagen auch weiterhin und sind erbärmlich inadäquat. Nichtsdestotrotz pumpen wir Unsummen in diese abgenutzten Lösungen, und wenn diese Ausgaben, so glauben wir, nur groß genug sind, dann können wir mit Hilfe der alten Lösungsmöglichkeiten die neuen Schwierigkeiten doch noch überwinden. Haben wir den Mut, Fehler als Fehler anzuerkennen und sie der Vergangenheit zu überlassen? Haben wir die Kraft und den Mumm, die engen, einseitigen Sichtweisen des menschlichen Lebens hinter uns zu lassen und uns stattdessen für Vollständigkeit und Ganzheit zu öffnen? Das Gebot der Stunde heißt, über das Bruchstückhafte hinauszugehen und zu einer vollkommenen Revolution zu erwachen, die allerdings nichts mit den revolutionären Schemata der Vergangenheit zu tun hat, denn mögen diese heute auch in neuer Aufmachung erscheinen, sie haben alle versagt wozu sie also wieder ausgraben? Die Herausforderung liegt jetzt darin, eine ganz neue, lebendige Revolution zu erschaffen, die die Gesamtheit des Lebens in ihren Wirkungskreis aufnimmt. Nie haben wir es gewagt, das Leben als Ganzes in all seiner überwältigenden Schönheit anzunehmen; wir gaben uns mit der ewigen Fortsetzung von winzigen Splittern zufrieden, damit, Schlupfwinkel zu ersinnen, in denen wir uns gedanklich und emotional sicher und geborgen fühlen. Diese könnten wir jetzt auch haben, hätten wir bei dem Versuch, das kosmische Ganze in mundgerechte Häppchen zu zerstückeln, nicht alles ganz schrecklich vermasselt. Wir haben ein gefährliches Chaos angerichtet und versuchen nun, die komplizierte Situation mit äußerst oberflächlichen und zusammengeschusterten Mitteln zu retten.

Heute, wo die Narben früherer Fehler unser Dasein verunstalten und die Angst vor der Zukunft schwer auf unserem Gemüt lastet, können wir dieses gefährliche Spiel der Fragmentierung nicht mehr weiter fortführen. Wir dürfen uns nicht länger der Tatsache verschließen, dass wir alle in der Ganzheit gleichwertig und untrennbar miteinander verbunden sind. Wissenschaft und Technik haben dazu geführt, dass wir alle in enger Beziehung zueinander stehen. Wir sind in der Tat eine globale menschliche Familie. Doch noch hat diese Familie nicht gelernt, frei von Gewalt und Ausbeutung in Frieden zusammenzuleben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb Bertrand Russell: „Der Mensch kann wie ein Vogel in der Luft fliegen, er kann wie ein Fisch im Wasser schwimmen, aber er weiß nicht, wie man unter den Menschen lebt.”

Zu den Wurzeln des Konflikts vordringen

Obwohl doch unser schieres Überleben auf dem Spiel steht, setzen wir uns nur sehr oberflächlich, emotional und sentimental mit der Krise auseinander. Auf raffiniert subtile Weise haben wir versucht, uns von jedweder ernsthaften Verantwortung für den Zustand der menschlichen Familie freizusprechen, indem wir uns selbst und unsere kleine Bezugsgruppe als wirklich aufrichtig und friedliebend ansehen, während wir Außenstehenden, anderen, machthungrigen Bösewichten alle Verantwortung für Krieg und Aggression zuschreiben.

Aber wie können wir uns als Angehörige kriegsbereiter Gesellschaften von diesen abheben, indem wir uns selbst als friedliebend, die anderen hingegen als gewalttätig betrachten? Genau das versuchen wir jedoch. Durch die Medien erfahren wir von Massakern und Kriegen in aller Welt und finden es so unglaublich dumm, Krieg zu führen. Wir fragen uns dann, wieso die Politiker und Staatsmänner nicht klug genug sind, diesen Unsinn zu beenden. So reagiert wahrscheinlich jeder fühlende Bürger dieser Welt. Wer aber führt den Krieg, wo liegen seine Wurzeln? Sind sie in den Köpfen einer Handvoll Individuen, die über ihre jeweiligen Länder regieren? Oder befinden sich die Wurzeln des Kriegs nicht vielmehr in den Systemen, die wir geschaffen haben und nach denen wir seit Jahrhunderten leben in Wirtschaft, Politik, Industrie und Verwaltung? Wenn wir, anstatt einfach nur emotional zu reagieren und zu bekunden, wie schrecklich Krieg doch ist, einmal tiefer gehen, werden wir dann nicht die Wurzeln des Kriegs in eben jenen Systemen und Strukturen finden, die wir selbst akzeptiert haben?

Wir werden entdecken, dass es Systeme und Strukturen gibt, die unausweichlich zu Aggression, Ausbeutung und Krieg führen. Wir haben Aggression als Lebensart anerkannt. Wir erschaffen und verschanzen uns in Strukturen, die in Kriegen gipfeln. Es ist nicht möglich, die Strukturen beizubehalten und gleichzeitig Kriege zu vermeiden. Sie und ich, jeder einzelne, muss die eigene Verantwortung dafür erkennen, dass wir mit diesen Systemen kooperieren und uns somit an Gewalt und Kriegen beteiligen. Und dann müssen wir uns fragen, ob wir nicht einfach mit all dem aufhören können, um stattdessen alternative Lebensweisen zu erkunden.

Wir müssen zu den Wurzeln des Problems vordringen, zum Kern der menschlichen Psyche, und erkennen, dass ein gemeinschaftliches soziales Handeln mit Änderungen im Leben jedes einzelnen beginnt. Wir können Individuum und Gesellschaft nicht voneinander trennen. Wir alle haben die Gesellschaft verinnerlicht, indem wir ihr Wertsystem annehmen, und die Prioritäten akzeptieren, die Staat, Regierung und politische Parteien für uns ausgearbeitet haben. Wir sind ein Ausdruck des Kollektiven, wiederholen die für uns geschaffenen Muster und sind glücklich, weil uns physische und wirtschaftliche Sicherheit, Behaglichkeit, Freizeit und Unterhaltung geboten werden. Wir sind besessen von der Idee der Sicherheit, und Gedanken an die Zukunft quälen uns weit mehr als die Verantwortung für die Gegenwart.

Über die Fragmentierung hinausgehen

Sind wir bereit, diesen unangenehmen Tatsachen ins Auge zu schauen und ihnen nicht mehr auszuweichen, dann können wir fortfahren. Wenn wir uns in Selbstmitleid und Depression ergehen, dann könnte diese Negativität zu Zynismus und Verbitterung anderen und dem System gegenüber führen. Und solch negative Energie freizusetzen, trüge gewiss nicht zur Lösung des Problems bei. Wir müssen uns an die unverfälschten Tatsachen halten. Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind verantwortliche Teilnehmer an dem, was in der Welt geschieht. Wenn wir Unrecht und Gewalt in unseren Herzen dulden, dann kooperieren wir mit jedem, der Kriege führt. Wir sind Mittäter, weil wir Gewalt auf einer psychologischen Ebene billigen. Wenn wir dem Kämpfen wirklich ein Ende setzen wollen, dann müssen wir tief in der menschlichen Psyche forschen, dort wo die Wurzeln der Gewalt ihre Grundfeste haben. Der Weg aus dem Chaos wird uns verschlossen bleiben, wenn wir die Ursache von Gewalt, Begierde und Missgunst nicht finden. Gelingt es uns nicht, ihre Wurzeln auszumerzen, dann sind wir elendiglich dazu verdammt, auf immer die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Wir müssen erkennen, dass das Innere und das Äußere auf subtile Weise miteinander zu einem Ganzen verwoben sind und wir uns nicht erfolgreich um das eine kümmern können, ohne auch das andere zu berücksichtigen. Es ist ein Teufelskreis: die Strukturen und Systeme bedingen das innere Bewusstsein, die Konditionierungen des Bewusstseins wiederum erschaffen die Strukturen und Systeme. Man kann nicht einen Teil dieser wechselseitigen Beziehung herausgreifen und ihn strahlend schön ausgestalten, dem Rest jedoch einfach keine Beachtung schenken. Die Zwänge der gesellschaftlichen Konditionierungen sind sehr fest verwurzelt und lassen sich nicht ignorieren.

Traditionell gibt es zwei getrennte Herangehensweisen. Die eine führt uns an die sozialen, ökonomischen und politischen Probleme und sagt: „Seht her, wenn die ökonomischen und politischen Probleme nicht gelöst werden, wird es weder Glück noch Frieden geben und auch kein Ende des Leidens. Jeder Einzelne trägt die Verantwortung, sich im Sinne irgendeiner Ideologie mit der Lösung dieser Probleme zu befassen. Sich dem inneren Leben mit seiner Unausgeglichenheit und seiner Unanständigkeit zuzuwenden, ist nicht so dringlich und kann auch noch auf später verschoben werden, da dies sowieso nur eine selbstsüchtige und egoistische Beschäftigung ist. Vielmehr haben wir eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der menschlichen Spezies. Also lassen wir all diese Fragen zu Meditation und Stille, geistiger Kultiviertheit und der Transformation zu innerer Revolution zunächst einmal beiseite und wenden wir uns zuerst den richtigen Schwierigkeiten zu.” Die andere Herangehensweise kontert: „Solange das Individuum nicht vollkommen transformiert ist, können die politischen und ökonomischen Probleme nicht gelöst werden. Kümmert euch also um eine persönliche psychologische Umwandlung, um die innere, radikale Revolution! Die umweltpolitischen und sozialen Probleme können warten.”

Für gewöhnlich folgen die Leute einem dieser beiden klassischen Wege: Religiöse Gruppen beschäftigen sich mit innerem Wachstum und innerer Revolution, soziale Aktivisten engagieren sich im Dienst an der Gemeinschaft. Wie üblich haben wir eine Grenze geschaffen, und Erkundungen außerhalb unseres eigenen Territoriums sind nur oberflächlicher Natur. Die sozialen Aktivisten haben ihr Gebiet abgesteckt, die Außenwelt mit ihren sozio-ökonomischen und politischen Strukturen, und die spirituell orientierten Menschen haben die innere Welt höherer Bewusstseinsstufen, transzendentaler Experimente und Meditation zu ihrer Domäne erklärt. Diese beiden Gruppen haben sich zu allen Zeiten stets gegenseitig verachtet. Die sozialen Aktivisten halten die spirituellen Sucher für zu nachgiebig gegenüber sich selbst, und diese wiederum betrachten die Sozialaktivisten als in ihrem eigenen Aktivismus gefangene Gehetzte, die die Essenz des Lebens verleugnen. Die spirituellen Führer der alten Traditionen haben das Leben in weltlich und spirituell unterteilt und nachdrücklich betont, dass die Welt nur Illusion ist. Sie sagten: „Diese Welt ist Maya, ist eine Illusion. Daher sollt ihr all euer Tun auf die absolute Wahrheit und nicht auf Maya ausrichten.” Folglich muss sich ein religiöser Mensch, der zehn Stunden am Tag meditiert, nicht mit der Grausamkeit, Tyrannei und Ausbeutung auseinandersetzen, die in dieser Welt allgegenwärtig sind. Er würde sagen: „Dafür bin ich nicht verantwortlich. Das ist Gottes Verantwortung. Gott hat die Welt erschaffen. Er oder sie wird sich schon darum kümmern.”

Es hat gelegentlich oberflächliche Vermischungen gegeben, spirituelle Gruppen, die sich sozial engagieren und soziale Aktivisten, die religiösen Organisationen beitreten, aber eine echte Integration von sozialer Aktion und Spiritualität auf einer tieferen, innovativen Ebene hat noch nicht wirklich stattgefunden. Der Verlauf der menschlichen Entwicklung war bisher nur unvollständig und bruchstückhaft, doch das Gros der Menschheit gab sich damit zufrieden. Fragmentierung wird von der Gesellschaft gutgeheißen. Jede gesellschaftliche Splittergruppe hat ihr eigenes Wertesystem. Unter den meisten sozialen Aktivisten gelten Ärger, Hass, Gewalt, Bitterkeit und Zynismus als normal und allgemein üblich, eine Gewohnheit, deren Wirksamkeit für ein friedliches Zusammenleben ernsthaft in Zweifel gezogen werden muss. Auf der anderen Seite haben Generationen spiritueller Sucher die Gleichgültigkeit gegenüber der notleidenden Bevölkerung auf geradezu schockierende Weise gebilligt, weil ihnen höhere Bewusstseinsstufen erheblich mehr bedeuten als das Elend von Abertausenden verhungernden Mitmenschen.

Jetzt, am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wartet eine neue Herausforderung auf uns: Es gilt, über die Zersplitterung und die unvereinbaren Wertvorstellungen, an denen selbst ernstzunehmende Gemüter noch festhalten, hinauszugehen, über die Selbstgerechtigkeit der jeweiligen von uns anerkannten Herangehensweise hinauszuwachsen und sich für ein vollkommenes Leben und eine allumfassende Revolution zu öffnen. In dieser Epoche ein spirituell Suchender ohne soziales Gewissen zu sein, ist ein Luxus, den wir uns nur schwerlich leisten können. Und es ist die ärgste Torheit, ein sozialer Aktivist ohne exaktes Verständnis der inneren Funktionsmechanismen des menschlichen Verstandes zu sein. Keiner der beiden Wege hat für sich allein genommen bisher nennenswerte Erfolge verbuchen können. Es steht heute außer Frage, dass ein spirituell Suchender ein soziales Bewusstsein entwickeln muss, so wie es die Aufgabe des sozialen Aktivisten ist, sich von der geistig-moralischen Krise in der menschlichen Psyche zu überzeugen und zu erkennen, wie wichtig es ist, dem inneren Leben Aufmerksamkeit zu schenken. Nun gilt es, als Menschen viel tiefer zu gehen, oberflächliche Vorurteile und Vorlieben aufzugeben, unser Verstehen auszudehnen, bis es die ganze Welt umfängt, die Gesamtheit des Lebens zu vereinigen und uns der Ganzheit bewusst zu werden, von der wir eine Manifestation sind.

Mit zunehmender Tiefe unseres Verstehens wird die willkürliche Trennung zwischen innen und außen verschwinden. Die Essenz des Lebens, seine Schönheit und Erhabenheit besteht in seiner Ganzheit. In Wirklichkeit kann das Leben nicht in ein Innen und ein Außen, in Individuum und Gesellschaft eingeteilt werden. Wir mögen zwar willkürliche Grenzen ziehen, weil sie für das Zusammenleben zweckdienlich sind, um einzelne Faktoren zu analysieren und ihnen auf den Grund zu gehen, aber eigentlich hat eine Trennung zwischen innen und außen keinerlei Bedeutung, weil sie nicht real ist.

Wir haben die voneinander isolierten Teilbereiche unserer Gesellschaft, die Zerstückelung des Lebens als unvermeidliche Tatsache hingenommen. Jetzt erkennen wir die verinnerlichten Teilstücke, die verschiedenen Rollen, die wir spielen, die sich widersprechenden Wertesysteme, die gegensätzlichen Motive und Prioritäten als Realität an und beziehen uns so auf sie. Wir sind tief innerlich uneins mit uns selbst. Wir glauben, dass sich das Innere grundlegend vom Äußeren unterscheidet, dass das, was „ich” ist, eindeutig anders ist als „nicht-ich”, dass Grenzen zwischen Menschen und Nationen nötig sind, und dann wundern wir uns, warum es Spannungen, Konflikte und Kriege in der Welt gibt. Der Ursprung der Konflikte liegt in den Gemütern, die an Spaltung glauben und Ganzheit nicht erkennen.

Eine holistische Herangehensweise liegt im Erkennen der Homogenität und Ganzheit des Lebens. Das Leben ist nicht unterteilt, weder in „spirituell” und „materiell”, noch in „individuell” und „kollektiv”. Wir können keine getrennten politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Abteilungen des Lebens erschaffen. Was immer wir tun oder lassen mögen, beeinflusst die Ganzheit, berührt die Homogenität. Wir sind auf ewig organisch mit dem Ganzen verbunden. Wir sind Ganzheit und wir bewegen uns in der Ganzheit. Das Bewusstsein der Einheit weigert sich, Getrenntheit zu erkennen. Eine holistische Haltung zu haben bedeutet also, alle Unterteilungen, alle Getrenntheit seitens der Religion, der Spiritualität, der Sozialwissenschaften, der Politik oder der Ideologien nicht mehr zu erkennen und nicht mehr anzuerkennen. Wenn wir die Wahrheit wirklich verstehen, werden wir nicht mehr am Unwahren anhaften. Sobald wir das Falsche als falsch erkennen, werden wir ihm keinen Wert mehr beimessen. Wir ent-anerkennen es im täglichen Leben. Eine seelische und psychologische Ent-Anerkennung jeder Art von Zerstückelung ist der Anfang positiven sozialen Handelns.

Wenn das Bewusstsein für die Gesamtheit im Herzen keimt und ein Erkennen der Verbundenheit aller Wesen heraufdämmert, dann gibt es keine Möglichkeit mehr, sich ausschließlich ein Teilstück herauszugreifen und sich dort festzusetzen. Sobald das Bewusstsein für die Ganzheit erwacht, ist jeder Augenblick heilig, wird jede Bewegung heilig. Die Empfindung von Einssein ist dann keine intellektuelle Vorstellung mehr. In all unseren Handlungen werden wir vollkommen, mühelos natürlich und total sein. Alles Handeln und alles Nicht-Handeln wird dann den Duft der Ganzheit verströmen.

Innere Freiheit ist eine soziale Verpflichtung

Die Welt als eine große Kollektion zusammengesetzter Einzelteile zu betrachten, von denen manche mit „Freund”, andere mit „Feind” etikettiert sind, beginnt im Innern. Wir teilen unsere inneren Gebiete genauso mittels positiver oder negativer Bezeichnungen ein, wie wir es auch mit äußerem Territorium zu tun pflegen, und Kriege gibt es hier wie dort. Wir sind innerlich gespalten; die Gefühle wollen dieses, der Verstand jenes und die biologischen Triebkräfte wieder etwas anderes. Es ist ein fortwährender Konflikt, der sich zwar graduell, nicht jedoch qualitativ von Weltkriegen unterscheidet. Wenn wir nicht einmal uns selbst als innerlich ganz erleben, ist es da ein Wunder, dass wir die Ganzheit der Welt nicht wahrnehmen können? Wenn wir uns selbst für ein bunt zusammengewürfeltes unharmonisches Sortiment willkommener und unerwünschter Eigenschaften, zwiespältiger Motive, unverdauter Glaubenssätze, Vorurteile, Ängste und Unsicherheiten halten werden wir das dann nicht auf die Welt projizieren?

Weil die Quellen menschlicher Konflikte, soziale Ungerechtigkeit und Ausbeutung, in unserer Psyche liegen, müssen wir auch dort mit der Transformation der Gesellschaft beginnen. Doch die Erforschung der menschlichen Psyche geschieht nicht eigensüchtig zum Selbstzweck, sondern aus Mitgefühl für die gesamte Menschheit. Wir müssen tief an den Ursprung des Verfalls in der Gesellschaft vordringen, damit die neugestalteten Strukturen und sozialen Systeme ein gesundes und kräftiges Wurzelwerk entwickeln, aus dem alles gut gedeiht. Die Strukturen der Gesellschaft und ebenso die ihnen zugrunde liegenden versteckten Motive und Annahmen müssen transformiert werden. Die individuellen und kollektiven Werte und Motive, die die Ungerechtigkeit und Ausbeutung der modernen Gesellschaft billigen, müssen aufgedeckt und genauso in den Brennpunkt der Veränderung gestellt werden, wie die sozio-ökonomischen und politischen Strukturen. Es ist nicht von dauerhaften Nutzen, die oberflächlichen Strukturen und Verhaltensweisen zu ändern, während die tiefliegenden Fundamente verrotten und verfallen.

Die engagierten sozialen Aktivisten unter uns halten ihre persönlichen Moral- und Wertvorstellungen, ihre Beweggründe und Gewohnheiten für eine reine Privatsache, über die niemand etwas erfahren soll, nicht einmal sie selbst. Doch in Wahrheit ist unser geistiges Innenleben keine private oder persönliche, sondern eine ausgesprochen öffentlich-gesellschaftliche Angelegenheit. Der Geist ist das Ergebnis kollektiver menschlicher Bemühungen. Es gibt nicht deinen Geist oder meinen, es gibt nur einen gemeinsamen menschlichen Geist, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Alle Werte, Normen und Kriterien sind Verhaltensmuster, die von gemeinschaftlichen Gruppen ins Leben gerufen wurden, an ihnen ist nichts Persönliches oder Privates. Wir können die Tür hinter uns schließen und uns einbilden, dass niemand unsere Gedanken kenne, aber was wir in unserer sogenannten Privatsphäre tun, hat Auswirkungen auf das Leben um uns herum. Wenn uns negative Gedanken und Energien quälen und wir uns der Schwermut und Verbitterung überlassen, vergiften diese Energien die Atmosphäre. Wo ist da die Privatsphäre? Es ist unsere soziale Pflicht, den Geist als Gemeinschaftswerk zu betrachten und unser individuelles Gebaren als Ausdruck des menschlichen Geistes zu erkennen.

Es ist weiterhin absolut notwendig, innere Freiheit von der Vergangenheit, von Denkstrukturen und von dem durchorganisierten und genormten kollektiven Verstand zu erlangen, wenn wir einander ohne Misstrauen und Argwohn begegnen wollen, wenn wir uns ungezwungen und ohne Scheu anschauen wollen, einander ohne jede Hemmung zuhören wollen. Das Studium des Verstands und die Erforschung innerer Freiheit sind weder utopisch noch egoistisch, sondern dringend notwendig, damit wir als Menschen die Mauern überwinden können, die die Bevormundung des Denkens zwischen uns aufgebaut hat. Dann werden wir uns als Menschen ohne Etikett erkennen, unbeschrieben, nicht als Inder, Amerikaner, Kapitalist oder Kommunist sondern als menschliche Wesen, jedes eine Miniatur-Ganzheit. Noch haben wir das nicht gelernt. Wir sind auf diesem kleinen Planeten zusammen und können dennoch nicht miteinander leben. Körperlich sind wir einander nahe, doch psychologisch sind wir meilenweit voneinander entfernt. Zweifellos ist die soziale Verantwortung, innere Freiheit zu erlangen, eine Aufgabe von höchster Bedeutung. Wir untersuchen den Geist, weil wir wollen, dass Eintracht und Frieden herrschen, weil wir des Glücks der Liebe in unseren Herzen bedürfen und weil wir uns um die Qualität des Lebens in dieser Welt, die unsere Kinder einmal erben werden, sorgen. Wir betreiben unsere Forschungen nicht, weil wir etwas Neues, Esoterisches für das Ego wollen, ein paar transzendentale Erfahrungen vielleicht, die unser Selbstbild aufwerten. Wir sehen sie vielmehr als soziale Pflicht; wir erkennen, dass die Wurzeln von Gewalt, Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Gier in der menschlichen Psyche liegen, und wenden uns ihr mit klarer, präziser und objektiver Aufmerksamkeit zu.

Wir sind organisch miteinander verbunden und wir müssen diese Verbindung leben. Unsere Aufmerksamkeit für die treibenden Kräfte des Inneren dient nicht der Zerstreuung und Ablenkung von unserer Verantwortung. Es geht nicht darum, eine Pseudoüberlegenheit beizubehalten, die da heißt: „Ich bin sensibel und du nicht”. Es bedeutet einfach, zu erkennen, dass unsere persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen miserabel sind, Furcht und Angst auslösen und uns in die Defensive drängen. Wie sehr wir uns auch nach Frieden sehnen mögen, emotional sind wir nicht reif genug für den Frieden, und unsere Unreife wirkt sich auf all unser Handeln aus, wie gut und angemessen es auch sei. Die Beseitigung innerer Unordnung und Verwirrung findet im Leben derer statt, die daran interessiert sind, wahrhaftig kreative, lebendige und leidenschaftliche vollkommene Menschen zu sein, und die erkennen, dass inneres Chaos Energie entzieht und sich in niederträchtigem, unechtem Benehmen in der Gesellschaft manifestiert. Achtsam zu sein verlangt eine ungeheuer große Liebe für das Leben. Es ist nichts für jene, die sich durchs Leben nur treiben lassen wollen oder für die, die glauben, dass durch mildtätiges Handeln in der Gesellschaft hässliche innere Gewohnheiten gerechtfertigt werden. Die vollkommene Verwandlung, die wir untersuchen, ist nichts für Zaghafte und Selbstgerechte. Sie ist für jene, die die Wahrheit mehr lieben als Schein und Täuschung. Für die, die aufrichtig und demütig einen Weg aus dem Durcheinander finden wollen, das wir jeder einzelne von uns durch unsere Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit und unseren Mangel an moralischem Mut geschaffen haben.

Wir haben die Wahl

Die meisten von uns sind sich der ihrer Lebensweise zugrunde liegenden Motive und Handlungsanstöße nicht bewusst. Wir treiben mit der Strömung der kulturellen Sitten und Gebräuche. Wir gleiten, je nach Laune des gesellschaftlichen Diktats, unter dem Eindruck der von den Massenmedien kreierten Bilder und, nicht zuletzt, getrieben von dem oberflächlichen, persönlichen Bedürfnis, ein hilfsbereiter und nützlicher Mensch zu sein, in gesellschaftliche Belange hinein und wieder heraus. Wir haben uns an ein Leben an der Oberfläche gewöhnt und fürchten die Tiefen, deshalb sind unsere Sorge um die Menschheit und unser sozialer Einsatz nur kleine, schwache Schifflein, die leicht zu Schaden kommen können. Im Grunde interessieren sich die meisten von uns doch vornehmlich für ihr eigenes, kleines Leben, ihre sinnlichen Vergnügungen, ihr persönliches Seelenheil und ihre Angst vor Krankheit und Tod, anstatt für das durch unsere kollektive Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit entstandene Leid und Elend.

Allerdings haben wir nun den Punkt erreicht, wo wir es uns nicht länger leisten können, unserem egozentrischen Wohlergehen und persönlichen Reichtum zu frönen oder uns auf Kosten gemeinschaftlicher Interessen in religiöse Bestrebungen zu flüchten. Für uns darf es kein Entkommen, keinen Rückzug, keinen privaten Ort geben, wo wir dem Leid der Menschheit den Rücken kehren und sagen: „Ich bin nicht verantwortlich. Andere haben dieses Durcheinander geschaffen, sollen die es auch wieder in Ordnung bringen.” Das Menetekel, die Schrift an der Wand der Welt, ist unmissverständlich: „Lernt das Leben in Gemeinschaft oder seid getrennt des Todes!” Wir haben die Wahl.

Die Welt von heute zwingt uns, zumindest intellektuell, unsere Einheit, unsere Wechselbeziehung zu akzeptieren. Und immer mehr Menschen wird klar, wie dringlich es ist, den immer schneller werdenden Wahnsinn um uns herum anzuhalten. Bis jetzt jedoch sind unsere Reaktionsversuche nur oberflächlich und der Vielschichtigkeit der Anforderungen nicht gewachsen. Wir unternehmen keine Schritte, ja, ziehen sie nicht einmal in Betracht, die unsere Sicherheit gefährden könnten oder die uns daran hindern würden, uns auf gewohnte Weise durchs Leben treiben zu lassen. Wenn wir weiter so achtlos und gleichgültig, profit- und genusssüchtig vor uns hinleben, dann entscheiden wir uns im Grunde für den Selbstmord der Menschheit.

Man kann sich gemäß der eigenen Mittel und Fähigkeiten auf vielfältige Weise sozial engagieren, ohne auch nur ein Jota der privaten Interessen aus den Augen zu verlieren. Tatsächlich wertet ein soziales Engagement für gewöhnlich unser Selbstbild eher auf und steigert noch unsere Egozentrik. Um aber wahrhaftig sozial handeln zu können, so, dass die Wurzeln des Problems sowohl in der menschlichen Psyche, als auch in der Gesellschaft gekappt werden, müssen wir unsere selbstsüchtigen Beweggründe hinter uns lassen. Unsere Sehnsucht nach Frieden muss so drängend sein, dass wir bereit sind, uns von unserem unreifen, egoistischen Verhalten zu befreien, um stattdessen in die geistig gesunde Reife und Mündigkeit hineinzuwachsen, die notwendig ist, um mit den vielschichtigen Schwierigkeiten, die unsere Existenz bedrohen, umgehen zu können. Wenn wir vom Verlangen nach Anerkennung getrieben werden, sei es seitens der herrschenden Kultur oder ihrer Gegenkultur, wird uns die Klarheit und Leidenschaft für rechtes Handeln zum richtigen Zweck fehlen. Vielleicht werden wir für unsere Mithilfe gelobt, aber bevor wir uns nicht der Essenz des Lebens zutiefst bewusst sind und eine durchdringende Klarheit hinsichtlich der Bedeutung der menschlichen Existenz besteht, werden unsere Beiträge nicht die Wurzeln des menschlichen Not erreichen.

Um zur Übernahme sozialer Verantwortung bereit zu sein, müssen wir gnadenlos ehrlich mit uns selbst sein. Wir sind überall und jederzeit verpflichtet, uns Ungerechtigkeiten zu widersetzen, unsere Bequemlichkeit, Sicherheit und unser Leben in furchtloser Verweigerung der Zusammenarbeit mit Ungerechtigkeit und Ausbeutung aufs Spiel zu setzen. Wenn wir uns all die Verhaltensmuster der Versklavten zu eigen machen – die Furcht, die Hinnahme der Tyrannei, die intellektuelle und emotionale Blindheit für das Unrecht – dann haben wir die Konsequenzen, die zwangsläufig wie aus einer dunklen Gewitterwolke auf uns herabstürzen werden, verdient. Wenn wir uns gehorsam und ergeben an unserem Inselchen namens „Sicherheit” festklammern, dann werden natürlich Angst und Schrecken herrschen. Wenn wir zulassen, dass alle anderen zugrunde gehen – die Menschen anderer Länder, Rassen, Gesellschaftsklassen, Kulturen, Religionen und die übrigen Geschöpfe dieser Erde, damit wir gedeihen und unaufhörlich die Palette unserer Genüsse und Annehmlichkeiten erweitern können -, dann sind wir ganz klar dem Untergang geweiht. Die Abgebrühtheit, mit der wir zulassen, dass andere missbraucht werden, damit unser eigenes, unbedeutendes Leben in Wohlstand ungestört weitergehen kann, ist ein Vorbote des schlimmen Schicksals, das uns alle ereilen wird.

Wenn wir nun dem Leiden der Menschen und des Planeten direkt ins Auge sehen, welche Wirkung wird diese schreckliche Stunde der Wahrheit auf uns haben? Ziehen wir uns hinter bequeme Theorien und Verteidigungsmechanismen zurück oder werden wir im Herzen unseres Seins erwachen? Die Wahrnehmung von Elend und Not ohne den Aufbau innerer Verteidigungsmechanismen wird natürlicherweise in Handlungen münden. Das Herz kann nicht Zeuge von Leiden sein, ohne die Macht der Liebe zu aktivieren und zum Handeln aufzurufen. Vielleicht setzen wir uns nicht auf globaler oder nationaler Ebene, sondern nur in unserer Gemeinde oder Nachbarschaft ein, aber handeln, reagieren müssen wir. Soziale Verantwortung blüht ganz natürlich auf, wenn wir die Welt ohne Beteiligung des Ego-Bewusstseins wahrnehmen. Wenn wir uns direkt mit dem Leiden verbinden, werden wir zu Verständnis und spontanem Handeln geführt, aber wenn wir die Welt aus der Sicht des Egos wahrnehmen, dann sind wir von der Möglichkeit einer unmittelbaren Beziehung abgeschnitten, von einer Verbindung, die die tiefste Ebene unseres Seins berührt.

Die Macht der Liebe ist die Macht vollkommener Verwandlung

Wenn wir überleben wollen, dann muss eine zärtliche und liebevolle Fürsorge für alle Geschöpfe in unseren Herzen entstehen und regieren. Unser Leben wird nur dann wahrlich gesegnet sein, wenn die Not eines Einzelnen aufrichtig als die Not aller empfunden wird. Die Macht der Liebe ist die Macht vollkommener Verwandlung. Sie ist eine noch nicht befreite Macht, als die treibende Kraft für Veränderungen noch unerforschtes Neuland. Wir haben uns in unserem Zusammenleben zerstörerisch weit von der Liebe entfernt und sind nun dem Verhungern nah. Vielleicht besitzen wir jetzt die Weisheit zu erkennen, dass die Liebe für uns Menschen so lebenswichtig ist, wie die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken und die Nahrung, die wir essen. Die Liebe ist das Schönste, das zarte Mysterium, die Seele des Lebens, die strahlende, unverdorbene Reinheit, spontane Freude, Lieder der Verzückung, Gedichte, Bilder, Tänze und Schauspiele hervorbringt, um ihre unbeschreibliche, niemals vollkommen erreichbare Glückseligkeit zu feiern. Können wir die Liebe unter das Volk bringen, in die Häuser, Schulen, Firmen und Geschäfte, um diese vollkommen zu verwandeln? Die Herausforderung mag utopisch erscheinen, doch sie ist die einzige, die einen nennenswerten Unterschied machen wird und die des Potentials eines ganzen Menschen wirklich würdig ist.

Mitgefühl ist eine spontane Bewegung der Ganzheit. Es ist keine wohlüberlegte Entscheidung, die Armen und Bedürftigen zu unterstützen. Mitgefühl besitzt eine ungeheure Antriebskraft, die uns natürlich und ohne eine Wahl zu angemessenem Handeln veranlasst. Mitgefühl hat die Kraft der Intelligenz und der Kreativität und die Stärke der Liebe. Echtes Mitgefühl kann nicht kultiviert werden; weder entstammt es geistigen Überzeugungen, noch emotionalen Reaktionen. Es ist einfach da, wenn die Ganzheit des Lebens zu einer wahrhaft gelebten Tatsache wird. Mitgefühl wird sich nicht manifestieren, wenn wir an der Oberfläche der Existenz leben, wenn wir versuchen, uns aus leicht verfügbaren Bruchstücken ein angenehmes Leben zusammenzubauen. Mitgefühl verlangt einen Sprung in die Tiefen des Lebens dorthin, wo die Einheit Realität ist und Trennungen nur Illusion. Wenn wir uns in den seichten Gewässern des Seins aufhalten, werden wir uns der sichtbaren körperlichen, geistigen und soziokulturellen Unterschiede zwischen den Menschen allzu bewusst. Dringen wir aber zum Wesentlichen vor, dann werden wir vielmehr entdecken, dass es nichts Grundlegendes gibt, worin sich ein Mensch vom anderen, oder von irgendeinem anderen Geschöpf, unterscheidet. Alle sind Manifestationen des Lebens, nach denselben Gesetzen erschaffen und von denselben Lebenserhaltungssystemen genährt. Einheit ist absolute Realität; Differenzierungen sind nur von vorübergehender, relativer Wirklichkeit. Doch es genügt nicht, dass einige Wenige aus der Gesellschaft zu den Tiefen des Lebens vordringen und faszinierende Berichte über die Einheit aller Wesen anbieten. In diesen schwierigen Zeiten ist es notwendig, dass jeder sensible und sozial engagierte Mensch die Tatsache des Einsseins für sich persönlich entdeckt und echtes Mitgefühl in sein Leben strömen lässt. Wenn Mitgefühl und die Erkenntnis des Einsseins zur treibenden Kraft zwischenmenschlicher Beziehungen werden, dann wird sich die Menschheit entwickeln.

Überall in der Welt leiden wir unter der selbsterschaffenen düsteren Not. Es ist uns nicht gelungen, in Frieden und Harmonie miteinander zu leben, weil wir an das Bruchstückhafte und Oberflächliche glaubten, und Finsternis braut sich am Horizont zusammen. In solch dunklen Zeiten spüren gewöhnliche Menschen wie Sie und ich die Dringlichkeit, tiefer zu gehen und die oberflächlichen und inadäquaten Vorgehensweisen loszulassen, um stattdessen die kreativen Kräfte zu aktivieren, die uns allen als Ausdruck der Ganzheit zur Verfügung stehen. Die unermessliche Intelligenz, die den ganzen Kosmos lenkt, ist für alle da. Die Schönheit und das eigentliche Wunder des Lebens besteht darin, dass wir ein grenzenloses Potenzial an Kreativität und Intelligenz mit dem übrigen Kosmos teilen. Wenn das Universum unermesslich und geheimnisvoll ist, dann sind wir es auch. Wenn es unzählige kreative Energien birgt, dann auch wir. Hat es heilende Kräfte, dann besitzen auch wir diese. Die Erkenntnis, dass wir nicht ausschließlich Körper auf einem stofflichen Planeten sind, sondern dass wir ganzheitliche Wesen sind, jedes einzelne ein Miniatur-Kosmos, mit dem Leben auf innige und tiefgründige Weise verbunden, sollte die Art, wie wir uns, unsere Umwelt und unsere sozialen Probleme erleben, radikal verändern. Nichts kann je aus der Ganzheit herausgenommen werden.

Da ist so viel unerforschtes Potenzial in jedem Menschen. Wir sind nicht einfach nur Fleisch und Knochen oder eine Verschmelzung verschiedener Konditionierungen. Wenn dem so wäre, dann sähe unsere Zukunft auf diesem Planeten wirklich düster aus. Aber es gibt unendlich viel mehr im Leben, und jeder leidenschaftliche Mensch, der es wagt, jenseits des Bruchstückhaften und Oberflächlichen das Geheimnis der Ganzheit zu ergründen, hilft der gesamten Menschheit zu verstehen, was es heißt, ein ganzer Mensch zu sein. Revolution, vollkommene Revolution, bedeutet, das Unmögliche zu probieren. Und wenn ein Mensch diesen Schritt in das Neue, das Unmögliche wagt, dann nimmt er die ganze Menschheit mit.

Zitate aus: On an Eternal Voyage, Vimala Thakar (Vimal Parivar: Bombay, 1994) und Vimalaji’s Global Pilgrimage, ed. Kaiser Irani (Vimal Prakashan Trust: Ahmedabad, 1996)

Quelle: http://www.wie.org/de/j6/vimala.asp?page=1 (WIE steht für das Enlightenment Next-Magazin, Magazin für Evolutionäre, das eng mit Andrew Cohen und Ken Wilber verbunden ist)

Ihr habt den Leuten gesagt, dass jetzt die elfte Stunde ist.
Geht nun zu ihnen zurück und sagt ihnen, dass jetzt die Stunde ist;
es gibt Dinge, über die nachgedacht werden muss…

Wo lebst du?
Was tust du?
Mit wem bist du verwandt?
Stehst du in der richtigen Beziehung?
Wo ist dein Wasser?
Kenne deinen Garten.

Es wird Zeit, deine Wahrheit auszusprechen.
Erschaffe deine Gemeinschaft.
Behandelt euch gegenseitig gut.
Und sucht keine Führer im Außen.

Der Fluss strömt jetzt sehr rasch.
Er ist so mächtig und schnell, dass Einige Angst bekommen werden.
Sie werden versuchen am Ufer zu verharren.
Sie werden sich zerrissen fühlen und schrecklich darunter leiden.
Wisse, der Fluss folgt immer seiner Bestimmung.

Die Ältesten raten uns, das Ufer los zu lassen,
uns abzustoßen, mitten in den Fluss hinein,
mit offenen Augen und den Köpfen über dem Wasser.
Und ich sage Dir: Schau, wer mit dir ist und feiere!

In diesem Augenblick der Geschichte
dürfen wir nichts persönlich nehmen.
Am allerwenigsten uns selbst.
Sobald wir das tun, wird unser spirituelles Wachstum
und die Reise unterbrochen.

Die Zeit der einsamen Wölfe ist vorüber. Versammelt euch!
Verbannt das Wort „Kampf“ aus eurem Verhalten
und aus eurem Wortschatz.
Alles was wir jetzt tun, muss in heiliger Weise geschehen,
in Freude und Leichtigkeit.

Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.

(Die Ältesten der Hopi Nation, Oraibi, Arizona, 02. Dezember 2001)

(Fotos in der Reihenfolge:Regina-Kaute_pixelio.de – folgende drei von Sven-Richter_pixelio.de)

Von unserem ersten Tag an begleitet uns der Tod – als Gefahr und Bedrohung,
als Gedankenklärer und Berater, als Lebenskatalysator und Mahner, als Freund, Geliebter und Verlocker, als Demutbringer, Türöffner und Neubeginn. Und als Tabuzone.
Tritt trotzdem ein.


Was wir am Ende unsere Lebens
in Händen halten,
sind nicht unsere Leistungen und unsere Werke.
Wir werden uns zuerst und vor allem
der Frage stellen müssen,
wie viel wir geliebt haben.
(Zitiert aus. Willigis Jäger, Über die Liebe, 160 S., 15,95 Euro,  Kösel Verlag 2009, ISBN 9783466368426)


Die folgenden Zitate sind Oshos kleinem Büchlein “Tod – der Höhepunkt des Lebens” (ISBN 978-3-93636-082-0) entnommen:

“Der Tod ist wie die Nacht. Das Leben ist yang, und der Tod ist yin. Das Leben ist männlich, der Tod ist weiblich. Leben ist aggressiv, ehrgeizig – eine ständige Anstrengung, viele Dinge zu erobern. Und der Tod ist die Entspannung von allen Aggressionen – eine Reise nach innen. Man entspannt sich in sich selbst hinein. Zen nennt es ‘das Asyl der Ruhe’.”

“Das Leben ist wie der Tag, und der Tod ist wie die Nacht. Und der Tag für sich kann ohne die Nacht nicht existieren. Es ist die Nacht, die dich auf den Tag vorbereitet, es ist die Nacht, die dich verjüngt, dir deine Energie zurückgibt. Im Tiefschlaf kommst du genau an den Punkt, an den dich auch der Tod führen wird.”

“Wenn du vor dem Tod Angst hast, wirst du wahrscheinlich auch vor dem Leben Angst haben – denn das Leben bringt ja den Tod. Du würdest gerne stehen bleiben, einfrieren, damit du nicht fließt, damit der Tod nie geschehen kann. Du würdest gerne unterwegs stecken bleiben, so dass du den Ozean nie erreichst und dich nie in ihm verlierst.”

 

Der Begriff „Flow“ wurde erstmals von einem Mann mit einem schier unaussprechbaren ungarischen Namen populär gemacht: Mihály Csíkszentmihályi [gesprochen ungefähr: Mihaadsch Tsiegsäntmihaadschi]. Er arbeitete als Professor für Psychologie an der University of Chicago. Lang davor war das psychische Phänomen zum Beispiel schon von Maria Montessori beschrieben worden. Sie nannte es “Polarisation der Aufmerksamkeit”.

In verschiedenen kleinen Kapiteln möchte ich das Thema Flow erarbeiten. Denn die Flowforschung verbindet Psychologie, Hirnforschung und Erkenntnisse vor allem der östlichen Philosophie zu einem objektiv nachvollziehbaren Zusammenhang, der ganz ohne Guru- und Glaubensinhalte auskommt.

Grundlage ist das im Springer Wissenschaftsverlag erschienene Buch „Erfolgsprinzip Persönlichkeit“ von Dietmar Hansch, das ich jedem an Herz legen kann, aber nicht ganz einfach zu lesen ist. Hinzu kommen frei recherchierte Ergänzungen sowie Prin-zipien buddhistischer Psychologie, wie sie von Jack Kornfield grundgelegt wurden. Über Kommentare jeder Art freue ich mich.


Wir alle haben Flow schon einmal erlebt. Es ist das selbstvergessene, unbemühte Tun, ein Versunkensein oder auch Aufgehen im Tun, bei dem man konzentriert ist, ohne etwas erzwingen zu wollen.

Für Flow gibt es bestimmte Merkmale:

  • Man handelt dabei zielgerichtet und spürt unmittelbar den Erfolg seines Tuns.
  • Wir sind in unserer Fähigkeit weder unter- noch überfordert. Man hat das Tun unter Kontrolle.
  • Man ist so auf die Handlung konzentriert, dass Sorgen und Probleme verschwinden.
  • Es stellt sich keine Mühe ein.
  • Das Zeitgefühl nimmt ab oder verschwindet sogar.
  • Bewusstsein und Handlung verschmelzen zu einer Einheit. Man wird Teil eines größeren Ganzen.
  • Die Handlung ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck.
  • Es entsteht die Wahrnehmung von Stimmigkeit, Harmonie und Glück à z.B. runner’s high.

Jeder erlebt Flow anders, und doch gibt es für seine Entstehen gewisse Regelmßigkeiten. Es kann deshalb als eine Form von Glück bezeichnet werden, das man beeinflussen kann.


Hier einige Methoden, um Flow herzustellen:

– Flow verlangt die Überwindung einer gewissen Durststrecke bzw. einen Anfangs-Energie-Input, es ist wie bei einer Wasserrutsche. Du musst erst hochsteigen, um in den Genuss des Rutschens zu kommen.
– Ein klares Ziel formulieren. Nur wo ein Soll festgelegt ist, kann ein Ist damit zur Passung kommen. Entscheidend dabei: Das Ziel sollte nicht gerade einfach zu erreichen sein, aber einen auch nicht überfordern.

– Handeln mit dem Synergieohr, einem von Dietmar Hansch geprägten Begriff aus der Glücksforschung. Synergie kommt zum Ausdruck in dem Ausspruch von Aristoteles

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Das heißt: Lebewesen oder Kräfte wirken so zusammen, dass sie sich gegenseitig fördern … Zurück zum Synergieohr: Es lauscht nach innen und beobachtet Passungen. Wie bei einem Puzzle, schafft alles, das besser passt, ein größeres Gefühl der Befriedigung. Schlechte Passungen erzeugen hingegen Empfindungen der Unstimmigkeit.

Das Interessante daran: Unser Bewusstsein scheint nur zwei Möglichkeiten zu haben, es arbeitet entweder mit dem Vernunftauge oder mit dem Synergieohr: Entweder man konzentriert sich bewusst auf ein Detail, oder man versucht, die Harmonie des Ganzen zu erspüren.
(Grafik: wikipedia commons / CLoeser)

Wie ich schon sagte, wollen wir gar nicht glücklich sein. Wir wollen etwas anderes. Oder sagen wir es genauer: Wir wollen nicht bedingungslos glücklich sein, stellen Bedingungen für das Glück. Zum Beispiel: Ich bin bereit, glücklich zu sein, vorausgesetzt, ich habe dieses oder jenes oder wer weiß was noch. Doch das ist dann so, als sagten wir zu unserem Freund oder zu unserer Freundin, zu Gott oder zu wem auch immer: „Du bist mein Glück. Wenn ich dich nicht bekomme, weigere ich mich, glücklich zu sein.“

Dies zu verstehen, ist sehr wichtig. Wir können uns gar nicht vorstellen, ohne solche Bedingungen glücklich zu sein. Das eben ist es. Es wurde uns beigebracht, unser Blück an Bedingungen zu binden.

Daher ist es das erste, was zu tun ist, wenn wir wach werden wollen, was nichts anderes heißt als zu sagen: wenn wir lieben wollen, wenn wir Freiheit wollen, wenn wir Freude, frieden uns geistliches Leben wollen. In diesem Sinne ist Spiritualität die nützlichste Sache der Welt. Versuchen Sie doch einmal, sich etwas Nützlicheres vorzustellen als Spiritualität, wie ich sie beschrieben habe – nicht Frömmigkeit, nicht Gebet, nicht Religion, nicht Gottesdienst, sondern Spiritualität – Wachwerden, Wachwerden!

Wohin man blickt, überall Kummer, Einsamkeit, Angst, Verwirrung, Zwiespalt in den Herzen der Menschen – innerer und äußerer Zwiespalt. Angenommen, jemand würde Ihnen einen Weg zeigen, auf dem Sie all dem entrinnen könnten? Angenommen, jemand könnte Ihnen sagen, wie diesem gewaltigen Verlust an Energie, Gesundheit und Gefühlen, der von diesen Zwiespältigkeiten herrührt, ein Ende bereitet werden kann. Würde Sie dies wollen? Angenommen, jemand würde uns einen Weg zeigen, auf dem wir zu aufrichtiger gegenseitiger Liebe, zu Frieden und Freundlichkeit gelangen könnten. Können Sie sich etwas Nützlicheres als das vorstellen?

Doch statt dessen gibt es Leute, die meinen, das große Geschäft sei nützlicher, Politik und Wissenschaft seien nützlicher. Was hat die Erde davon, wenn ein Mensch auf den Mond geschossen wird, wenn wir auf der Erde nicht leben können?

Anthony de Mello, Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, Herder Verlag

Foto: Marion_pixelio.de

LIEBE, das kann zum Beispiel heißen: LangmutIdealeEinheitBefreiungErstaunen oder auch: LähmungIllusionEngeBeschränkungEifersucht. Natürlich ist das ein Gedankenspiel, denn meistens wird es ein bisschen von allem sein. Hast Du Lust auf neue Zusammensetzungen? Dann schick sie mir an info[at]bobbyversum.de.

Folgende Gedanken erscheinen mir wirklich erwähnens- und bedenkenswert:

GRACE und die Freie Liebe

… Freie Liebe hat in diesem Sinn nichts damit zu tun, wie viele Beziehungen ich habe. Freie Liebe entscheidet sich nicht daran, ob ich in der Monogamie lebe oder in der Homosexualität oder vielleicht sogar phasenweise in der Askese. Freie Liebe ist viel tiefer die Frage: „Kann ich überhaupt lieben?“ Im Grunde gibt es ja nur “freie Liebe”. Was für eine seltsame Vorstellung, dass Liebe unfrei sein könnte. Die eigentliche Frage heißt: „Mache ich aus meiner Liebe einen Rechtsanspruch? Verwandelt sich meine Liebe auf einmal in eine Angelegenheit der Justiz? Oder liebe ich?“

In dem Zusammenhang wird man schnell spüren, dass es keine freie Liebe geben kann ohne eine tiefe Anbindung an die Spiritualität. Solange mein ganzes Denken geprägt ist von Verlustangst, werde ich immer im Vergleich leben. Ich werde immer verteidigen und in dem Moment, wo die Angst einsetzt, geht man über in eine Kampfeshaltung. Ich kann aber auch in den tiefen Zustand des Vertrauens eintreten, zurückkehren zu mir selbst, zu der Frage: „Wer bin denn ich?“ Ich kann nur lieben, wenn ich wieder eintrete in diesen Zusammenhang mit der Welt und meine Aufgabe erkenne. Ich muß daran glauben, dass es auch für mich eine Aufgabe gibt. „Ich bin geliebt.“ Hier spürt man, wie viele Jahrtausende von Geschichte wir – wir Frauen und wir Männer – abwerfen müssen, bis wir zu diesem Grundgefühl zurückkehren können: „Ich bin geliebt als sexuelles und sinnliches Wesen von der heiligen Quelle des Lebens“ …

In diesem Zustand des Vertrauens frage ich nicht: „Was kriege ich?“ Ich trete auch nicht in dieses unersättliche Begehren ein gegenüber dem Mann oder gegenüber der Frau, aus dem Glauben, nie satt zu werden. Freie Liebe hat nichts mit Konsumverhalten zu tun, sondern man weiß, dass es das Göttliche ist, was einem begegnet. Einmal führt mich vielleicht die “freie Liebe” mitten hinein in ein sexuelles Abenteuer.Wenn ich weiß, dass die Göttin das jetzt von mir wünscht, folge ich der inneren Führung. Ein anderes Mal wird mir die innere Stimme sagen: „Ich liebe und begehre jetzt nur einen Mann“ …

In unserem Wesenskern finden wir immer diese reine, tiefe Schönheit wieder. „Ich bin ein Wunder der Göttin.“ Dieser Kern ist unverletzbar. Das ist, christlich gesprochen, der Christuspunkt in uns. Niemand kann mich verlassen, wenn ich nicht verlasse. Die Liebe bahnt sich ihren eigenen Weg, wenn ich bei der Liebe bleibe, das führt einmal zu mehr Nähe, ein anderes Mal zu mehr Distanz, ein weiteres Mal ins Alleinsein, aber niemals in die Verlassenheit, denn die Göttin kann dich nicht verlassen. Das ist die tiefste und die neueste Erkenntnis, die jedem Märtyrer-Trauma entgegensteht, denn im tiefsten Innern, bist du nichts anderes als der Stützpunkt Gottes.

Dieser Text ist einem größeren Essay von Sabine Lichtenfels entnommen.

Foto1: by_Ulrike-Karow_pixelio.de
Foto2:by_Albrecht-E.-Arnold_pixelio.de

von Arjuna Ardagh

(Den folgenden wunderbaren Text findest Du im englischen Original HIER

Vor einigen Tagen, nach einem besonders schönen Abend mit meiner Frau Chameli, schrieb ich diesen Beitrag in Facebook:

„Ich hatte viele, viele große Lehrer in meinem Leben. Einen ultimativen Reichtum. Aber niemand und nichts kommt an die Frau heran, die gerade in meinem Bett schläft. Meine Ehe wurde zu meinem Guru, der Erlösung, sie ist die Muse, der Riss, durch den das Heilige hinein scheinen kann.“

Am nächsten Morgen fand ich die üblichen liebevollen Kommentare von Menschen, die meinen Beitrag mochten. Ein Mann hatte die Verletzlichkeit und den Mut Folgendes auf Facebook zu schreiben: “Danke Arjuna, dass Du dies mit uns teilst. Ich fühle mich, als sei ich vor der Wahl zwischen einem Gefühl von Neid auf das, was Du hast und ich nicht habe, oder dem Gefühl, mich dafür zu entscheiden „ich will das auch“ und wie Du beschreibst, ist es möglich…“

Ich war berührt.

In den nächsten Tagen bekam ich verschiedene weitere Nachrichten in E-Mails oder über unsere Homepage, und sie hatten im Grunde alle eine Aussage: „Ich las Deinen Facebook-Eintrag. Auch ich will das, was Du hast. Zeige mir wie ich das erreichen kann.“

Also Freunde, hier ist es. Die Kurzanleitung dazu, „wie ehre ich eine Frau“ und warum dies das Weiseste ist, was ein Mann tun kann. Als erstes möchte ich ein paar sehr verständliche Zweifel aus dem Weg räumen. Und glaube mir, mir sind all diese Zweifel vertraut.

1. “ Ich bin verwundet und angeknackst in meiner Beziehung zum Weiblichen“

Genau das bin ich auch, lieber Bruder, das bin ich auch. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich vier Jahre alt war, und zwar auf eine sehr hässliche Art. Ich wuchs mit meiner Mutter auf. Sie gab ihr Bestes, um für mich da zu sein, aber sie war unglücklich und unsicher. Als ich selbst als Teenager begann, Beziehungen zu Frauen einzugehen, entdeckte ich, dass ich einen Berg von Zurückweisungen, Ängsten und Trennung in meinen Beziehungen zum Weiblichen hatte.

2. “Arjuna, Du hast Glück, Du hast eine unglaubliche Partnerin. Ich bin mit einer Frau zusammen, die nicht wie Chameli ist.“

Ich habe keine ultimative Antwort darauf. Es scheint sicherlich so, dass ich sehr viel Glück hatte, diese großartige Partnerin gefunden zu haben. Aber ich kann euch sagen, wie es dazu kam. Ich hatte eine Vielzahl nicht so glücklicher Verbindungen in meinem Leben. Ich habe meinen Teil der manipulativen Seite des Weiblichen erlebt: das Opfer, die Wütende, die Rachsüchtige. Einige Wochen bevor ich meine Frau Chameli traf, hat sich etwas Tiefgreifendes in mir verändert. Und ich bin davon überzeugt, dass sich dieser Wandel genauso in jedem anderen Menschen auch vollziehen kann.

3. “Ich habe keinen Partner, und manchmal zweifle ich daran, ob ich jemals jemanden finden werde.“

Mit einem Partner zusammen zu sein, mit dem keine Verehrung fließt, oder mit keinem Partner zusammen zu sein, sind im Prinzip zwei Aspekte der gleichen Situation: du hattest eine Ahnung von den Möglichkeiten der tiefen Liebe und du willst mehr davon. Die Lösungen sind die gleichen.

4. “Ich fühle, dass mein Herz verschlossen ist. Ich lebe viel in meinem Kopf und ich wüsste nicht einmal, was Verehrung ist, wenn sie um 2 Uhr morgens in mein Haus einbrechen würde und mir eine Kanone an den Kopf halten würde.“

An diesem Punkt beginnt das Ganze für jeden von uns: wenn wir zu realisieren beginnen, dass wir noch nicht wissen wie man liebt. Und dies ist die große Frage, die du stellen musst, Bruder: “Ist das in Ordnung für mich?“. Egal wie viel Geld du verdienst, wie viele Freunde du auf Facebook hast, egal wie schön das Haus ist, in dem du lebst, oder wie groß der Wagen ist, den du fährst, egal wie beeindruckend der Brustumfang deiner Partnerin ist oder wie viel du meditierst und spirituell wirst… hast du wirklich geliebt? Hast du ganz und ohne Verteidigungsmechanismen geliebt? Wenn nicht, und hier musst du ehrlich mit dir selbst sein, ist das ok für dich? Ist es ok, eines Tages zu sterben, ohne das Geschenk deines Herzens vollständig gegeben zu haben?

Vor acht oder neun Jahren stellte ich mir genau diese Frage. Und ich entdeckte, wenn ich ganz echt, verletzlich und unkompliziert ehrlich zu mir war, dass es tatsächlich nicht ok für mich ist. Wenn ich eines Tages sterben würde, ohne vollständig geliebt zu haben, wäre das kein gut gelebtes Leben für mich.

Vor vielen Jahren besuchte ich einen der heiligsten Tempel auf Bali. Der Tempel war umgeben von einer großen Mauer mit einem kunstvoll verzierten Eingang. Als wir die Schuhe ausgezogen und uns Tücher um unsere Köpfe gebunden hatten, gingen wir gemeinsam durch diesen Eingang. Innen war ein kurzer Innenhof, der zu einem weiteren Eingang führte. Nach weiteren Vorbereitungen, dem Entzünden von Räucherwerk und dem Darbieten von Opfergaben, schritten wir durch den zweiten Eingang. Uns wurde erlaubt, durch ein weiteres Tor zu gehen, doch das war es. Insgesamt gab es zehn Mauern, die die Gottheit in der Mitte umgaben. Hindus durften auch das vierte Tor durchschreiten. Anhänger dieser bestimmten Gottheit durften das fünfte Tor durchschreiten und so weiter. Die einzigen Menschen, denen es erlaubt war, die Gottheit direkt zu erreichen, waren diejenigen, die ihr ganzes Leben der Verehrung dieser einen Gottheit verschrieben hatten. Alle anderen konnten sich der Gottheit ein wenig nähern, sich ein bisschen der tiefsten Schönheit nähern, aber sie konnten nicht den ganzen Weg ins Zentrum gelangen.

Ich glaube nicht wirklich an die Verehrung von Statuen, doch was ich dort gesehen habe, hat einen wundervollen Symbolcharakter. Denn das Herz einer Frau ist genau so. In der Essenz des Herzens jeder Frau ist das göttliche Weibliche. Es enthält alles, was jemals schön, liebevoll oder inspirierend ist in jeder Frau, überall, zu jeder Zeit. Die absolute Essenz des Herzens einer jeden Frau ist der Gipfel der Weisheit, die höchste Inspiration, die Spitze sexuellen Verlangens, der Höhepunkt beruhigender, heilender Liebe. Der Höhepunkt von allem. Aber es ist beschützt, aus gutem Grund ist es von einer Reihe konzentrischer Mauern umgeben. Um ganz hinein zu gelangen und dich von einer Mauer zur nächsten zu bewegen, ist es notwendig, dass sich deine Fähigkeit zur Hingabe steigert. Und wenn dir dies gelingt, wirst du mit großer Gnade belohnt. Dies ist nichts, über das du verbal mit einer Frau verhandeln kannst. Sie weiß nicht einmal bewusst, wie sie diese Tore selbst öffnen kann. Die Tore öffnen sich magisch und unsichtbar durch den Schlüssel echter Verehrung.

Wenn du außerhalb des äußersten Tores stehst, steht dir, wie vielen unglücklichen Männern auch, lediglich Pornographie zur Verfügung. Für billiges Geld, kannst du ihre Brüste sehen, vielleicht ihre Vagina und du kannst dich selbst stimulieren im traurigen Verlangen nach tiefer Liebe.

Trittst du durch das erste Tor, wird sie ihr äußeres Geschenk auspacken. Sie schaut dich mit einem bestimmten Funkeln in ihren Augen an. Sie wird deine Fragen schüchtern beantworten. Sie wird dir eine leise Ahnung davon geben, dass da noch mehr auf dich wartet.

Trittst du durch ein weiteres Tor und zeigst ihr deine Verbindlichkeit, deine Aufmerksamkeit, und einen Hauch von Verehrung, wird sie dir ihr Herz ein Stück weiter öffnen. Sie wird dir ihre Unsicherheiten mitteilen, ihre Verletzungen und ihre tiefsten Sehnsüchte erzählen. Manche Männer werden sich an diesem Punkt zurückziehen, sie beginnen, die Verantwortung zu spüren und stellen fest, dass der Schritt durch nächste Tor einen größeren Preis verlangt, als sie zu zahlen bereit sind. Die wenigen, die durch das nächste Tor gehen, entdecken ihre Loyalität, ihre Bereitschaft, bei dir zu bleiben, was auch immer kommen mag. Sie spüren ihre Bereitschaft, deine Kinder großzuziehen, mit dir im Gespräch zu bleiben. Und wenn du Glück hast, sogar deine schmutzigen Socken dann und wann aufzuheben. Und so geht es immer weiter. Das ist die Quintessenz.

Irgendwo beim vorletzten Tor vor dem innersten Zentrum, lüftet sie den Schleier ihrer Persönlichkeit und zeigt dir, dass sie sowohl ein menschliches Wesen ist, als auch ein Portal in etwas viel Größeres. Sie zeigt dir einen Zorn, der nicht ihr eigener ist, sondern der Zorn aller Frauen. Sie zeigt die eine Geduld, die universell ist. Sie zeigt dir ihre Weisheit. An diesem Punkt beginnst du, die weiblichen Archetypen zu erleben, die als Göttinnen oder mythologischen Figuren in allen Kulturen dargestellt sind.

Dann, im innersten Zentrum, im Innersten des Tempels selbst, werden alle Schichten deiner Hingabe gleichzeitig mit Belohnung überflutet. Du entdeckst die Essenz des Weiblichen, und auf eine seltsame Art ist das nicht wirklich romantisch, sondern gleichzeitig zutiefst heilig. Du erkennst, dass du mit jeder Frau an diesen Punkt hättest kommen können, wenn du bereitwillig durch die Abschnitte der Initiation gegangen wärst. Eine Frau ist jede Frau und jede Frau ist gleichzeitig eine Frau. Wenn du eine Frau vollständig liebst, im innersten Kern ihres Wesens, ist dies die eine heilige weibliche Flamme. Das ist es, was jede Frau zu allen Zeiten der Geschichte schön macht. Es ist die Flamme hinter der Mona Lisa, und Dantes Beatrice und ja, genau so Penelope Cruz und Heidi Klum. Du entdeckst die magischen Zutaten, die jeden Mann dazu bringen, sich in eine Frau zu verlieben.

Wenn du lernst, wie man der Essenz des Weiblichen auf diese Weise Beachtung schenkt, sinkst du vor Verehrung auf die Knie, Tränen bedecken deine Wangen und deine Kleidung, und du fragst dich, wie du sie jemals, in all ihren Formen auch nur für eine Sekunde für selbstverständlich halten konntest.

Es bleiben nur ein paar kleine Fragen offen. Als erstes, hast du verstanden, wovon ich spreche? Kannst du dich dem öffnen? Macht es Sinn? Und zweitens, wenn ja, wie gelangst du von da, wo du jetzt stehst, dahin, voll lieben zu können, mit ganzem Herzen? Ich erzähle dir gerne viel mehr davon, wenn wir uns kennenlernen. Hier ein paar Schritte für den Anfang:

Als erstes tue, was auch ich getan habe: Errichte in deinem Schlafzimmer einen Altar für das göttliche Weibliche. Stelle ausschließlich Symbole für das Weibliche dort auf. Ich habe ein Bild von Dante Gabriel Rossetti, dass „die Verkündung“ genannt wird. Google es, du wirst verstehen warum. Ich habe eine Statue von Quan Yin. Bestücke deinen Altar mit allem, was dich an das Weibliche erinnert und verbringe täglich ein paar Minuten mit Verehrung. Ja, Verehrung. Bewunderung. Hingabe. Biete Rosenblätter dar, schenke ihr Gedichte. Biete ihr alles an und bitte darum, dass sie dir ihr Innerstes offenbaren möge. Das bewirkt Wunder, egal ob du Single bist und darauf wartest, die richtige Frau zu treffen, oder bereits in einer Beziehung bist und dich danach sehnst, deiner Frau auf einer tieferen Ebene zu begegnen.

Das zweite, einen Anfang zu machen, ist: Praktiziere, deiner Frau oder irgendeiner Frau zehnmal am Tag etwas zu sagen, was du an ihr bewunderst. Mache das zu deiner persönlichen Übung, deiner täglichen Disziplin. „Ich liebe den Duft deines Shampoos“. „Ich liebe die Art, wie du lachst“. „Die Farbe deiner Augen ist so wunderschön”. Natürlich solltest du es auch so meinen. Und es sollte angemessen sein. Du kannst dich so weit aus dem Fenster lehnen, wie du möchtest, wenn du mit einer Frau in einer Beziehung bist, aber bei jeder anderen Frau respektiere die Grenzen (denke an die Mauern um den Tempel). Deine Ausdrucksweise muss angemessen sein zu dem Tor, an dem du dich befindest. Die Rundungen einer dir unbekannten Kassiererin zu bewundern, würde mehr an Belästigung grenzen als an Hingabe und Verehrung.

Fotos 1-8 (alle aus pixelio) in dieser Reihenfolge:

by F. Kolja Lenz
by Michaela Voelkl
by Dieter Kreikemeier
by korkey
by uschi dreiucker
by Gerd Altmann_Anja Wichmann
by Didi01
by andreas kroll

Professor Hartmut Rosa diagnostiziert (und bekämpft) eine neue Gesellschaftskrankheit

(pp).- Es gibt Zeiten, in denen einem der Verlauf der Zeit besonders bewusst wird: beim ersten, viel zu kurzen Date oder vielleicht auch beim letzten, nachdem man einander wohl nie wieder sieht, aber auch bei besonderen Festen: bei runden Geburtstagen wie dem 30., 60. oder 80., aber natürlich auch unter Stress: Wenn die Gäste bald kommen, aber die Nachspeise nicht gelingen will, wenn der Chef einen Besuch angekündigt hat und man viel zu wenig Zeit hat, um wirklich fertig zu werden; kurz vor dem Zusammenprall – wenn einem ein Auto auf der gleichen Spur viel zu schnell entgegenkommt.

Meistens allerdings ist uns die Zeit so etwas wie Luft, wir bewegen uns in ihr, ohne sie wahrzunehmen. Ab und zu stoßen wir auf den Satz: „Lebe ganz im Hier und Jetzt“, dann tauchen wir kurz auf, fühlen uns ein wenig genervt und tauchen wieder unter. Bis zum nächsten Stressgefühl, das bevorzugt dann erscheint, wenn uns die Ereignisse von hinten überholen wollen.

Die Diktatur der Zeit

Professor Hartmut Rosa bescheinigt der modernen Industriegesellschaft eine chronische Eilkrankheit. Rosa: „Die spätmoderne Angst gilt nicht dem Geheimdienst oder den Schergen eines Tyrannen. Die Subjekte wachen auf aus Sorge, nicht mehr mitzukommen, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, die Aufgabenlast nicht mehr bewältigen zu können, abgehängt zu werden – oder in der erdrückenden Gewissheit, (etwa als Arbeitslose oder Ausbildungsabbrecher) bereits abgehängt zu sein.“ Das mache uns zu Egoisten und entfremde uns einander: „Keine Zeit mehr, Freundschaften zu pflegen, einen Lebenspartner zu suchen, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Wer sollte sich um die auch kümmern? Der Fernseher, der Computer, die Ganztagsschule? Dass in vielen Fällen die ersten beiden Möglichkeiten real genutzt werden, erschreckt nur noch am Rande.“

Innen und Außen scheinen sich immer weiter zu entfernen. Während die seelischen Fliehkräfte zunehmen und uns in die Welt schleudern, versiegt die psychische Zentripedalkraft. Sie hält uns immer weniger auf dem inneren Boden; die „Erdung“, wie man dazu gerne in Yoga- und Meditationskursen sagt, geht verloren. Und die Auswirkungen der Eilkrankheit sind fatal: Die Zeitnot produziert kränkelnde Immunsysteme, Allergien, Burn-outs, Panikattacken, Depressionen; ein menschliches, soziales und volkswirtschaftliches Desaster.

Verknotete Zeit

Hartmut Rosa, der an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität lehrt, sieht drei Zeitebenen durcheinander geraten: die Alltagszeit (Buszeiten, Ladenzeiten, Termine), die Lebenszeit (die Übersicht über sein Leben und was man damit anfangen will) und die geschichtliche Zeit der eigenen Epoche (der Blick von sich selbst in der historischen Zeit): „Wer kann schon noch einen sinnvollen Zusammenhang herstellen zwischen den oft sinnlosen, von Hetze geprägten Alltagspflichten und den Lebenszielen? Haben wir überhaupt noch einen lebenszeitlichen Horizont? … Kurz: Alltag, Leben und Epoche zerfallen und fragmentieren ebenso wie unsere Zeiterfahrung.“ Es gibt keinen zeitunabhängigen Werterahmen mehr, auf den wir uns stützen können, vielmehr bestimmen wir innerhalb des Handlungsrahmens über die Handlungsziele, also innerhalb der Zeit selbst. So wird die rasende Moderne zum Ewigkeitsersatz; der Tod verflüchtigt sich an den Rand des Bewusstseins: Wenn es schon kein Jenseits gibt, dann gewinnt mein Leben Sinn, indem ich immer mehr ins Diesseits packe.

Doch statt innerlich verankert zu leben, gleichen wir losgerissenen Bojen, werden zu Driftern, scheu vor Bindung und Dauer. Im Extremfall flüchten wir uns in die Depression, die Rosa als eine „Pathologie der Zeit“ beschreibt, und zwar in dreifacher Hinsicht:

– Depression als häufige Folge vermehrter Stresserfahrungen (Zeitdruck, hektische Veränderungsraten, hohe Unsicherheit)

– die Zeit wird als „verknotet“ wahrgenommen, es kommt zu „temporalen Erstickungsanfällen“, „zwischen Vergangenheit und Zukunft zieht es nicht mehr durch“

– Das Globalisierungszeitalter ist gekennzeichnet durch „rasenden Stillstand“; inneres Engagement lohnt sich nicht mehr, da keine Beziehung mehr identitätsstiftend oder

-stabilisierend wirkt, so dass es zu einem Zustand kommt, der durch „Öde und Leere (bei gleichzeitiger innerer Rastlosigkeit), durch Seelenlähmung gekennzeichnet ist“.

Spirituelle Tretmine

Kein Wunder also, dass der Begriff der Entschleunigung in den letzten Jahren eine solche Karriere gemacht und Bewegungen wie Slowfood und Cittaslow inspiriert hat. Mehr Lebensqualität durch bewussteren Genuss und achtsamere Lebensführung, lautet ihr Motto. Doch die Gefahr, Fastfood lediglich durch Slowfood zu ersetzen, aber innerlich der alte Adam bzw. die alte Eva zu bleiben, ist groß. Wie sonst könnte man der Eilkrankheit noch entkommen? Autogenes Training, Yoga, Entspannung? Meditation? Ja, nein, vielleicht. Denn sie alle bergen eine große Gefahr, sozusagen die spirituelle Tretmine schlechthin: Werden sie vor den Karren eines noch effizienter funktionieren wollenden Egos gespannt, verstärkt sich lediglich der Grad der Innen- und Außenwelt-Verstrickung zum Entwirrbaren. Wer meint, er könne Bedeutung gewinnen durch eine wie auch immer geartete Deklaration der Bedeutungslosigkeit, wird nicht nur zum Heuchler für die Welt, sondern auch gegenüber sich selbst – was gefährlicher sein dürfte. Der Satz, dass man sich nicht selbst entkommt, egal in welches Land man reist und welchen Job man antritt, gilt perfider Weise auch für die spirituelle Reise: „Es ist fast unvorstellbar, was ein Mensch alles an tiefgehenden Erlebnissen haben kann, ohne sich zu verändern“, schrieb vor 50 Jahren der Psychotherapeut und Zen-Lehrer Karlfried Graf Dürckheim, der sich irgendwann sogar für die Nazis begeistert hatte. Seither hat sich nichts geändert. Nur wenn der Mensch, so Dürckheim, „den in jeder echten Seinsfühlung enthaltenen Ruf hört und sich bindend dafür entscheidet, ihm zu folgen, kann die Gesamtverfassung … sich ändern und ein neuer Jemand entstehen“. Und das heiße vor allem: „Die Mittelpunktstellung des Welt-Ichs zu brechen.“

Wege zur Entschleunigung

(pp).- Auch der intelligenteste Hamster kann dem Hamsterrad nicht entgehen, solange er dessen Konstruktion verbessern will. Er muss nichts weiter tun als: aussteigen. Doch auch die Hamsterrad-Metapher birgt ein Problem: Meist wird die innere Identifikation verwechselt mit der Teilnahme am äußeren Leben. Nicht der hundertundeinte Termin erzeugt die Eilkrankheit, sondern die selbstverständliche Annahme, er würde meinen Lebenssinn vertiefen oder gar hervorbringen. Mit anderen Worten: dem inneren Stress entkommt niemand durch äußerliche Veränderungen, sondern nur durch eine Wende im Inneren, eine Umwertung der Werte.

Dann aber wird es gut sein, in einem persönlich angemessenen Sinn sein Leben bewusst langsamer zu gestalten: langsamer essen und trinken, langsamer gehen und fahren (sich mal Tempo 100 verordnen; zu früh kommen), ruhiger sprechen, ruhiger atmen, ruhiger arbeiten (und die Vorstellung des Multitasking auf den Schrotthaufen der Ideengeschichte kippen), Termine canceln, Handy-Auszeiten, im Denken das halb volle Glas bevorzugen, die Schönheit der Dinge, der Natur und der Menschen um sich herum erkunden; alles „tun müssen“ allmählich ins „tun wollen“ verwandeln und dabei Nein sagen lernen. Sich mindestens einmal alle zwei Wochen einen „heiligen Abend“ (was das bedeutet, bestimmt jeder selbst) und feste, arbeits- und freizeitstressfreie Rückzugsstunden gönnen. Lächeln üben. Auch mal nichts tun.

Wer das Gefühl hat, tatsächlich bereits chronisch eilkrank zu sein, dem bietet Hartmut Rosa die Unterstützung seines „Instituts zur sozialen Therapie der Eilkrankheit“ (www.eilkrankheit.de).

Bobby Langer

Fotos der Reihe nach: – Rainer-Sturm_pixelio.de – Gerd-Altmann-Jacob-Seligmann_pixelio.de – – Gerd-Altmann_pixelio.de — Doreen-Lauterbach_pixelio.de

von Uli Schaffer

Die neuen Menschen sind schon unter uns.
Mit ihrem Leben arbeiten sie an einer neuen Wirklichkeit
und wollen sie mit uns teilen.

Der neue Mann und die neue Frau werden nicht das Bedürfnis haben,
gebraucht zu werden, und doch wird die Welt sie brauchen, um zu überleben.

Sie werden gelernt haben, in sich vollständig zu sein.
Da wird keine Rede von der besseren Hälfte sein und kein Wunsch, jemanden oder etwas zu gehören, um wertvoll zu sein.

Sie werden der Konkurrenz absagen, großzügig sein und Situationen schaffen,
in denen alle gewinnen.

Sie werden in der sichtbaren Welt zu Hause sein,
sowie in der Welt, die nur mit den Augen der Hoffnung zu sehen ist.
Sie werden allem, das Leben fördert, verbunden sein.

Sie werden wissen, dass die Zeit kostbar ist,
und trotzdem nicht unruhig und ungeduldig werden.
Sie werden realistisch sein und doch die Hoffnung nicht verlieren.

(Foto: AngelaL_pixelio.de)

Sie sind Menschen der Wahl und der Selbstbestimmung.

Sie lassen sich nicht von anderen leben und leben nicht das Leben anderer.

Sie haben ihr Leben gewählt.
Sie haben sich für Werte entschieden und sie nicht nur geerbt.

Sie haben ihre Sorge für den Einzelnen mit der Sorge für die Welt verbunden
und opfern die eine nicht für die andere.

Sie werden die Hilflosen ehren und den Leidenden helfen.
Sie werden mit ihrem Wesen wissen, dass wir eine unzertrennliche Familie sind.

Sie wissen, dass alle wahre Veränderung die Veränderung des Herzens ist,
und lassen sich so nicht mit Sprüchen und Lobreden fangen.

Ihr Leben ist ausgewogen, aber nicht ohne Leidenschaft
und doch nicht nur ihren Gefühlen unterworfen.

Sie begreifen, dass regieren dienen heißt und echt sein verantwortlich zu werden heißt.
Sie verstehen, dass hassen morden ist, erst sich selbst und dann das, was man hasst.

Sie werden durchschauen, was keinen bleibenden Wert hat, und es nicht für sich wählen.
Sie werden ihr Leben nicht anfüllen mit dem, was sie entleert und von dem ablenkt, was ihnen wichtig ist.

Sie werden keine Angst vor der Angst haben,
weil sie schon lange wissen, dass Einsichten aus der Angst erwachsen können
und Einsicht oft der erste Schritt zur Veränderung ist.

Ihre Angst lähmt sie nicht, aber sie gibt ihnen eine Dringlichkeit, in der sie sorgfältig und genau arbeiten, mitten in ihrer Vision für eine bessere Welt.

Sie lassen sich nicht entmutigen von dem Gedanken der Erbsünde,
weil sie an den Erbsegen glauben.
Ihr Gott hat eine grenzenlose Leidenschaft für die Welt,
und von Gott lernen sie diese Leidenschaft.

Ihr Leben besteht aus einem Stück.
Sie können nicht hier hassen und dort lieben,
sie können nicht gleichzeitig verachten und fördern,
sie können nicht blind für eine und unaufmerksam für eine andere Sache sein,
weil sie schon lange begriffen haben, dass alles miteinander verbunden ist,
weil wir nur ein Herz in uns tragen.

Die ausgezeichneten Texte von Ulrich Schaffer findet Ihr HIER

Auf dem Weg zur Subjektivität

von Eva Neuner

Zur eigenen Stimmigkeit finden, heißt, zur Authentizität finden, heißt, vollkommen man selbst sein und deshalb jedes von außen Auferlegte, Erwartete, Gemachte hinter sich zu lassen. Stimmigkeit verneint jedes objektive Maß, jede Beurteilung, denn sie ist ihrem Wesen nach zutiefst subjektiv, individuell, unteilbar. Das Wissen um die eigene Stimmigkeit kann einen Menschen befähigen, sich gegen den Strom zu stellen, das Eigene auch in schwierigsten Situationen gegenüber anderen zu vertreten, sich nicht normieren und vereinnahmen zu lassen.

Foto: Jens-Bredehorn_pixelio.de

Stimmigkeit ist ein inneres Wissen, das größte Kraft verleiht, denn sie gründet auf der eigenen inneren Wahrheit. Sie ist gewusstes Wissen, etwas, das Ahnung, Gefühl, Intuition übersteigt. Stimmigkeit ist nur innengerichtet. Sie bezeugt, was für den Einzelnen wahr ist, sie ist Ausdruck der inneren Wahrhaftigkeit.

Stimmigkeit ist subjektiv und auf dem »Wahren Ich« begründet, aber sie ist hat nichts mit egoistischem Narzissmus gemein. Die Selbst-Bezogenheit der Stimmigkeit kann sich im Gegenteil erst enthüllen, wenn die auf Abwehrprozessen gegründete lebenslang angeeignete Persönlichkeitsstruktur erkannt und enthüllt ist. Erst wenn ich mich mit keiner meiner in der Sozialisation gelernten Überzeugungen, Glaubenssätze, Gefühle und Gedanken mehr identifiziere, erst wenn ich weiß, dass ich nichts von dem bin, was ich mein Leben lang zu sein glaubte, zeigt sich allmählich der Weg der Enthüllung des Eigenen.

Ein stimmiger Mensch ist für andere erkennbar, er ist präsent in einer Weise, die sich anderen spürbar mitteilt. Er wirkt außerordentlich kraftvoll, denn er ist kongruent mit seinem wahren Selbst.

Die Stimmigkeit, nicht zu stimmen

Unser in Dualismen geübter Geist konstruiert natürlich sofort die Bewertung: ich muss mich jetzt also bemühen, stimmig zu sein, Nicht-Stimmigkeit ist schlecht, wenn ich nicht stimme, habe ich versagt, wie heißen also jetzt die neuen Verhaltensmaßregeln?

Stimmigkeit im von mir gemeinten Sinne meint nicht das Gegenteil von Nicht-Stimmigkeit, sondern schließt sie vollkommen mit ein. In einer Situation nicht zu stimmen, kann völlig stimmiger Ausdruck meiner momentanen Verfassung, der schwierigen äußeren Umstände sein. Ich stimme, wenn ich ganz bei mir bin, ohne irgendwo hin oder von irgendwo weg zu wollen, wenn ich mir erlaube, zu sein wie ich bin, in all meiner menschlichen Unvollkommenheit. Die Stimmigkeit ist bei aller Unstimmigkeit immer vorhanden und doch ein stets sich verändernder Prozess des Hineinschälens in sich selbst.

Der Lernprozess

Anscheinend bekommen wir nicht beigebracht, wirklich wir selbst zu sein, lernen wir keine wirkliche Subjektivität, keine Subjekthaftigkeit. Meist wird uns diese sogar regelrecht „aberzogen“. Statt dessen lernen wir, uns selbst und andere als Objekte zu betrachten, die wir mit Zuschreibungen, Erwartungen, Deutungen, Benennungen und vermeintlichen Erklärungen festschreiben.


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Der Weg vom Objekt zum Subjekt braucht die Bereitschaft zur Erschütterung, ein Durchschauen der Prozesse von Konzeptualisierung und Begriffsbildung hin zu einem Zustand jenseits der Festschreibungen. Ein Subjekt schöpft nur aus sich selbst und verankert diesen Schöpfungsprozess in der unbenannten, ungeformten Leere, im Nicht-Wissen, Nicht-Wollen, im Unbekannten. Der Boden des Subjekts ist Mysterium.

Aus diesem Boden heraus füllt ein wahres Subjekt sich nicht mit Objekten, es entspricht nicht Erwartungen, die von anderen Menschen, der Welt, vom Über-Ich oder von „Gott“ an es herangetragen werden, sondern es erfüllt sich mit sich selbst, mit seiner ursprünglichen Subjektivität. Statt im Außen, im anderen zu suchen, wenden wir uns immer mehr, immer weiter ins eigene Innere, wir suchen Gott in uns statt außerhalb von uns.

Die eigene Stimmigkeit erfüllt mit Wahrheit

Sie ist die größtmögliche Sicherheit, die wir Menschen erlangen können, denn Subjektivität ist nicht diskutierbar, sie ist ohne Grund, ohne Ursache, ohne Bewertung, sie ist die uns aufgrund unseres Menschseins mitgegebene Fähigkeit, auf die Welt zu reagieren. Unsere Sinne, unser Körper und unser Geist befähigen uns zu unmittelbaren, ungefilterten inneren Antworten auf alles, was geschieht. Unser subjektives Inneres reagiert in Bruchteilen von Sekunden. Diese antwortenden inneren Reaktionen sind wahr. Sie sind unsere perfekt angelegten, seismographischen Orientierungspunkte bevor Filterprozesse geschehen. Diesen ursprünglichen Seismographen wieder einzusetzen, ihm zu vertrauen und zu lernen, mit seinen Signalen umzugehen, könnte unsere menschliche Handlungsfähigkeit neu begründen.

Die Einladung zur Stimmigkeit

Zu unserer Stimmigkeit zu finden braucht eine große Einladung. Diese Einladung wird durch jede Wertung, Erwartung, jedes Wünschen, Wollen und Streben wirkungsvoll verhindert. Einladend ist der aus dem Inneren kommende tiefe Wunsch nach sich selbst, ein wirkliches Interesse am Eigenen. Das erfordert im Äußeren Raum und Zeit, ein unbedingtes »Sich wichtig Nehmen« und ein Unterbrechen der Alltagsroutine.

Einladend ist eine erwartungslose Frage wie „Was ist los mit mir?“ und die anschließende Bereitschaft, alles, was sich zeigen oder nicht zeigen möchte, unterschiedslos da sein zu lassen. Der Weg zur inneren Stimmigkeit ist absichtslos. Es gibt kein besser oder schlechter, nur ein respektvolles Forschen, eine bedingungslose Akzeptanz unsere So-Seins, eine Hinwendung zu uns selbst ohne jede Verbesserungsabsicht. Unser Inneres ist erst dann bereit, sich uns immer mehr und weiter zu offenbaren, wenn es die Sicherheit gewinnt, bedingungslos sein zu dürfen, ohne sich in irgendeiner Weise verändern zu müssen. Erst das wirkliche Erlauben der Nicht-Veränderung bereitet den Boden für die Veränderung, die ohnehin Grundlage unseres Daseins ist.

Wirkliche Selbst-Erforschung muss Nicht-Wissen und Nicht-Wollen zur Grundlage haben. Jedes Wissen verstellt den Weg ins Unbekannte, indem es erklärt, benennt und einordnet und so eher abschreckt als einlädt. Erst das neugierige, urteilslose Staunen macht frei für das Geheimnis, lädt immer wieder neu ein, lässt das vermeintlich Begriffene und Erfasste immer wieder los und staunt aufs Neue.

Veränderung ohne Absicht

Stimmigkeit ist Ausdruck des Moments. Sie beinhaltet keinerlei Veränderungsabsicht, weder bei sich, bei anderen oder bei der Umwelt. Da sie alles beinhaltet, was sich zeigt, ist sie ein uneingeschränktes Ja, und erst von diesem Ja aus könnte Veränderung geschehen, die verändert, ohne irgendetwas anders haben zu wollen oder zu müssen.

Das Ja ist in der Lage, alles zu halten, es enthält Ungelöstes, Spannung, Widerspruch und jede Nicht-Veränderung. Und es ist gleichzeitig gewahr, dass nichts bleibt, alles sowieso in ständigem Wandel ist und das, was eben noch stimmte, im nächsten Augenblick schon wieder anders sein kann.

Alleinsein und Getrenntheit

Stimmigkeit kann nur im Alleinsein gefunden werden, denn das Alleinsein bildet ihre Grundlage. Kein noch so einfühlsamer anderer Mensch kann über das Geheimnis der subjektiven Stimmigkeit wissen, sie ist nur aus sich selbst heraus zu finden und jede Interpretation von außen würde sie vernichten. So kann die Liebe eines Menschen die Stimmigkeit des jeweils anderen niemals kennen, sie kann sie nur tief aus dem Herzen als subjektive Wahrheit bestätigen, da sein lassen und respektieren.


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Stimmigkeit lässt uns nicht vorschnell mit anderen Menschen eins sein. Sie hat das Potential, uns aufgrund ihrer radikalen Subjektivität zu trennen, denn sie betont das Unteilbare des Einzelnen. Und erst die vollständige Getrenntheit bildet den Boden für Verbindung und Bezogenheit, sie macht tief verlässlich aufgrund ihrer Wahrhaftigkeit und der wunderbaren Einzigartigkeit, die Menschsein erst ausmacht. Liebe in diesem Sinne zeigt sich als tiefe Freude am Anderssein des Anderen, die Verbindung besteht aufgrund der gleichen mysteriösen Wurzel Subjektivität.

Die Eigenmacht

Innere Stimmigkeit ist zutiefst persönlich, sie ist der Sitz unserer Individualität, Unverwechselbarkeit und Eigenmacht. Daher unterwirft sie sich niemals irgendeinem von außen kommenden Willen, sei er auch noch so berechtigt (weil ein anderer sich etwas von uns wünscht), moralisch begründet (zum Wohle der Menschheit) oder erstrebenswert für die eigene Entwicklung (aus der wohlmeinenden Sicht eines Therapeuten). Die eigene innere Wahrheit ist einfach eine nicht diskutierbare Tatsache, die den Boden bildet für jede authentische Reaktion.

Hingabe an das Unpersönliche

Dabei ist die aus dem tiefsten Inneren kommende authentische Wahrhaftigkeit zwar zutiefst persönlich, doch ist sie, da sie von keinerlei persönlicher Absicht mehr geprägt ist, Ausdruck des Unpersönlichen. Die ungefilterten, ursprünglichen organismischen Antworten auf alles Geschehen sind Ausdruck des Unpersönlichen, das über die an keine Abwehrprozesse gebundene Persönlichkeit seine individuelle Form erhält.

Menschsein bedeutet dann, wie ein Instrument zu sein, das nun bereit ist, sich wirklich spielen zu lassen, ohne sich an Noten, vorgegebene Kompositionen, Rhythmen oder sonstiges von anderen auferlegtes Vor-Wissen zu halten. Erst wenn der persönliche Wille, der sich irgendwo hin- oder abwendet, etwas haben oder nicht haben, etwas fühlen oder nicht fühlen will, zurücktritt und bedingungslos mit allem ist, kann sich der größere Wille über uns ausdrücken. Erst jetzt ist die innere Hingabe erreicht, aus der ich sagen kann „Dein Wille geschehe“.

(Foto by_RainerSturm_pixelio.de)

So ist mit der Unterwerfung unter Gottes Willen niemals die Selbstaufgabe gemeint, die ja jeder Willkür Tür und Tor öffnen würde (wo ist da der Unterschied zum Faschismus?). Gemeint ist vielmehr das vollkommene »Bei sich Sein«, die gelebte und geformte Individualität, das Ja zu Trennung, Alleinsein und Einzigartigkeit.

Kompromisslosigkeit und Unschuld

Innere Wahrheit ist aufgrund ihrer subjektiven Natur prinzipiell undiskutierbar. Der Boden meiner eigenen Wahrnehmung kennt keinen Kompromiss und keinen Zweifel, denn sie ist zutiefst wahr und zu mir gehörig. Daher lässt die innere Stimmigkeit auch keinen Raum für Schuld, denn mein Sosein ist seiner Natur nach völlig unschuldig.

Das authentische „So bin ich, ich kann nicht anders“ wurzelt in der Unschuld, die entsteht, wenn Individualität bereit ist, sich als Ausdruck des Größeren zu formen, das sich über unsere persönlichsten seismographischen Wahrnehmungen und Reaktionen manifestiert.

Die Stimmigkeit kann uns an Sterbepunkte führen

Der frühere persönliche Wille muss bereit sein aufzugeben und zurückzutreten, um dem vom Größeren geformten Individuellen Platz zu machen, ein Prozess, der schwierig, schmerzhaft und tief ängstigend sein kann. Gleichzeitig bekommt der Weg zum Eigensein mehr und mehr Verbindlichkeit, was bis zu der Bereitschaft führen kann, für das Eigene notfalls auch zu sterben. Selbstverrat wird dann als so unaussprechlich schrecklich erlebt, dass die Form bereit ist, sich aufzugeben, um das Heilige, dessen Ausdruck sie ist, zu wahren. Es ist dies der Punkt, an dem authentische Persönlichkeiten der Geschichte standen und stehen, für die es niemals infrage stand, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen.

Kein Egoismus

Stimmigkeit ist kein Weg in die Unschuld, auch wenn sie darin wurzelt. Sie ist ein Weg in die Manifestation und Verkörperung, und daher beinhaltet sie immer die Unvollkommenheit, die Menschsein kennzeichnet. Die Orientierung an der Stimmigkeit befreit uns nicht von Fehlerhaftigkeit, Schuld und der manchmal unausweichlichen Notwendigkeit, Andere zu verletzen. Jedoch hat der Selbstbezug der inneren Stimmigkeit absolut nichts gemein mit irgendwelchen egoistischen Strebungen, die blind machen für das Leid anderer. Im Gegenteil ist die Bezogenheit auf das eigene Selbst Grundlage, sich auch auf das Selbst anderer Menschen beziehen zu können.

An dieser Stelle zeigt sich die Unabdinglichkeit eines ganz großen, entfalteten Herzens. Sobald ich mein Herz für mein eigenes Leid, die Unvermeidbarkeit von Schuld, Versagen und Unvermögen geöffnet habe, bin ich auch geöffnet, andere Menschen zu fühlen und deren subjektive Wahrheit in mir zu halten.

Umgang mit Emotionen

Innere Stimmigkeit ist keine Fixierung auf Emotionalität, sie meint zum Beispiel nicht, man solle seine Wut abreagieren, weil das halt jetzt gerade stimmt.

Innere Stimmigkeit enthüllt sich gerade nicht, wenn wir vorschnell irgendwelchen Impulsen folgen. Sie braucht ein Spüren, Sehen und Anerkennen der eigenen Emotionen, aber sie überlässt sich ihnen nicht, sie reagiert sie auch nicht ab, sondern sie registriert sie als Ausdruck der momentanen inneren Verfassung.

Emotionen sind unterschiedslos eingeladen, ohne eine Handlung zur Folge zu haben. Alles wird mit der Qualität eines Zeugen wahrgenommen und gehalten, wird gesehen und verstanden, ohne dass etwas daraus folgen müsste. So entwickeln wir ohne irgendeine Absicht die Fähigkeit unseres Organismus, entstehende Spannung in sich zu halten ohne Tun. Über die Erhöhung zellulärer Kapazität erhöht sich auch die Fähigkeit, mit Unerträglichem umzugehen, statt es weitergeben, verdrängen oder in die Dissoziation gehen zu müssen. (by_Bernd-Boscolo_pixelio.de)

Negative Gefühle

Wenn ich mir erlauben kann, bedingungslos auch alle negativen Gefühle zu haben, ich ihnen keine Abwehr mehr entgegensetze, indem ich sie vermeiden oder transformieren möchte, kann meine Menschlichkeit zutage treten. So ändert etwa Hass seine Bedeutung, wenn ich ihn mir gestatte und tief mit dem Herzen verstehe, dass er adäquate Folge eines Zustandes ist, in dem mein Selbst verloren ging. Denn er entsteht genau dann, wenn das Eigene vollkommen verschwunden und durch Fremdes ersetzt ist, ich „besetzt“ oder „besessen“ bin. Es gibt ein menschliches Grundrecht, zu hassen, denn ohne Hass entstünde kein Erkennen des schrecklichen Geschehens in mir.

Selbstverantwortung

Indem ich niemals einem Anderen Verantwortung für meinen inneren Zustand übertrage, lerne ich, mir auch schwierigste und extreme Reaktionen zu gestatten, sie in mir zu halten, sie selbst zu verantworten und aus Herzenstiefe zu verstehen. Jede, auch die moralisch fragwürdigste innere Regung macht Sinn, kann stimmig sein, weil sie Wegweiser darstellt für Unerlöstes.

Die wachsende Bewusstheit meiner selbst und die Fähigkeit, mit allem, was geschieht, in Beziehung zu gehen, statt mich damit zu identifizieren, schaffen innere Freiheit. Diese sich immer erneuernde Freiheit, zu entscheiden, ob ich reagiere oder nicht, bildet die Basis für die Übernahme von Verantwortung meiner selbst und meiner Gefühle, und erst wenn ich mich selbst verantworten kann, bin ich auch in der Lage, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Das Grundrecht auf Unvollkommenheit

Voraussetzung der Entwicklung innerer Stimmigkeit muss demzufolge ein vollkommen a-moralisches Erlauben und Verstehen sein, was beinhaltet, dass Nichtstimmigkeit stimmiger Ausdruck meiner momentanen Verfassung sein darf. Wir besitzen ein menschliches Grundrecht auf Unvollkommenheit, wir dürfen scheitern und vollkommen unerlöst sein. Wir dürfen Fehler machen, uns ganz irrational und unangemessen verhalten, wir dürfen Unrecht tun und manchmal schaden wir anderen. Das geschah schon immer und wird immer wieder geschehen.

Erst wenn wir unsere Mangelhaftigkeit nicht mehr bekämpfen, sondern sie akzeptieren und uns vollkommen erlauben, indem wir sie als unvermeidbaren Ausdruck unseres Menschseins begreifen, öffnet sich unser Herz dafür, und wir hören wir auf, gegen unser Menschsein anzukämpfen. Gnade meint, Menschsein anzunehmen und nicht verändern zu wollen, Gnade bedeutet Menschlichkeit.

Indem Gott Mensch wurde, wurde er menschlich, Non-Dualität begann, sich durch und über Dualität zu manifestieren. Damit ist Dualität zwangläufig widersprüchlich, und es grenzt an Gewalt, sie nur hell, licht und gut machen zu wollen. Wir brauchen deshalb keine neue Moral, sondern eine wirklich gelebte und geliebte Menschlichkeit.

Eva Neuner (mehr zur Autorin HIER)

entnommen der (leider nicht mehr existierenden) Zeitschrift connection.

Wenn ich etwas lese oder eine andere Homepage anschaue – immer wieder stoße ich auf Sätze bzw. Sinnsprüche, die mir erhaltenswert erscheinen, eine Art Kulturgut-Sammlung der Menschheit.
Und wenn man das nicht so hoch aufhängen will, dann sind es allesamt Sprüche, die wie winzige Türen in mein Selbst- und Weltverständnis führen. Auch für mich selbst stehen diese Türen nicht immer offen.
Du kannst natürlich auch für Dich da manchen Fund machen.
Hier sind sie also (und werden mehr …)

WEISHEITEN

(oder was mir so erscheint)

So ein Menschenwesen

So ein Menschenwesen ist ein Gästehaus.
Immer wieder andere Gesichter:
ein Augenblick der Freude,
der Niedergeschlagenheit, der Gemeinheit,
ein Aufleuchten von Bewusstheit,
unerwartet steht es vor dir.
Begrüße und bewirte jeden Besucher,
auch das Bündel verzweifelter Sorgen,
das wütend deine Möbel zur Tür hinaus fegt.
Ja, selbst diesen Gast achte.
Vielleicht schafft er Raum
für ein frisches Entzücken.
Den finsteren Gedanken, die Scham, die Bosheit,
bitte sie herein
mit einladendem Lachen.
Danke allen für ihr Kommen,
denn sie wurden geschickt
als Boten aus dem Verborgenen.

Rumi


Apfel

Es knospt
Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst

Hilde Domin


FREI SEIN

Lass dich fallen,
lerne Schlangen beobachten,
pflanze unmögliche Gärten.

Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein,
mache kleine Zeichen, die “Ja” sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.

Freue dich auf Träume.

Weine bei Kinofilmen,
schaukle so hoch du kannst mit deiner Schaukel bei Mondlicht.

Pflege verschiedene Stimmungen,
verweigere “verantwortlich zu sein”,
tue es aus Liebe.

Glaube an Zauberei,
lache eine Menge,
bade im Mondlicht.

Träume wilde phantasievolle Träume,
zeichne auf die Wände.

Lies jeden Tag.

Stell dir vor, du wärst verzaubert,
kichere mit Kindern,
höre alten Leuten zu.

Spiele mit allem,
unterhalte das Kind in dir,
du bist unschuldig,
baue eine Burg aus Decken,
werde nass,
umarme Bäume,
schreibe Liebesbriefe.

Joseph Beuys


Das ist moderne Tapferkeit: Fortfahren im versuchenden Leben, wenn auch keine Gewissheit ist –
nicht das Ergebnis verlangen, sondern das Scheitern wagen.

(Karl Jaspers)


Wir können uns doch nicht auf das geistige Niveau
des Kapitalismus zurückschrauben
und ständig Sinn mit Erfolg verwechseln.

Das ist eine gefährliche Verwechslung,
wenn wir das Leben zurecht stutzen
auf das Machbare und das,
was sich konsumieren lässt.
Meine Tradition hat uns wirklich mehr versprochen!
Ein Leben vor dem Tod, gerechtes Handeln
und die Verbundenheit mit allem, was lebt,
die Wölfe neben den Lämmern und Gott nicht oben
und nicht später, sondern jetzt und hier.
Bei uns, in uns.

(Dorothee Sölle)

Reich wird man erst durch Dinge,
die man nicht begehrt.
(Mahatma Gandhi)


Ich kann ohne das mindeste Zögern sagen, dass,
wer behauptet, Religion habe nichts mit Politik zu tun, nicht weiß,
was Religion bedeutet.
(Mahatma Gandhi)


 

WEISHEITEN

(oder was mir so erscheint)

Mit folgendem Bild begann eine neue Epoche der Menschheit:
Am 22. April 1970, zwei Jahre, nachdem es von der Apollo 8-Kapsel aus fotografiert worden war,
fand der erste weltweite Earth Day statt.
Zum ersten Mal hatten Menschen des Westens begriffen:
Dies ist unsere Erde


Finden statt suchen

Ich suche nicht – ich finde. Suchen, das ist ausgehen von alten Beständen und ein Findenwollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden, das ist das völlig Neue, das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer. Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die im Ungeborgenen sich geborgen wissen, die in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen. Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis, für jedes neue Erlebnis im Außen und Innen, das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt. (Pablo Picasso)


Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Sie sind mit Vernunft und Wissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

(Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)

Und was … ist die edle Wahrheit von dem zur Aufhebung des Leidens führenden Pfad?
Es ist dieser achtgliedrige Weg, nämlich: rechte Einsicht, rechter Entschluss, rechte Rede,
rechte Tat, rechter Wandel, rechtes Streben, rechte Wachheit, rechte Versenkung.
(Siddhartha Gautama)


Nur dann bin ich wahrhaft frei, wenn alle Menschen, die mich umgeben, Männer und Frauen, ebenso frei sind wie ich.
Die Freiheit der anderen, weit entfernt davon, eine Beschränkung oder die Verneinung meiner Freiheit zu sein,
ist im Gegenteil ihre notwendige Voraussetzung und Bejahung. Nur durch die Freiheit anderer werde ich wahrhaft frei.
(Michail Bakunin)


Wer Gott mehr liebt als seinen Nächsten, der liebt ihn noch nicht auf vollkommene Weise.
(Meister Eckhart)


“Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen.
Es liegt der Religion sowie allem tieferem Streb en in Kunst und Wissenschaft zugrunde.
Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder.
Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei,
dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und im schwachen Widerschein erreicht, das ist Religiosität.
In diesem Sinne bin ich religiös.”

(Albert Einstein, 1932, in seinem “Glaubensbekenntnis” an die deutsche Liga für Menschenrechte)


In die Tiefe meiner Ohnmacht hast Du eine Leiter gestellt.

Ich weiß nicht, wie Du sie befestigt hast.
Ich weiß nicht, woran sie anlehnt.
Ich weiß nicht, in welche Höhe sie führt.

In der Tiefe meiner Finsternis hältst Du mir die erste Sprosse hin.

Ich weiß nicht, wie breit sie ist.
Ich weiß nicht, wie stark sie ist.
Ich weiß nicht, wie lange sie hält.

Aus der Tiefe meiner Zerrissenheit reiche ich Dir meinen kleinen Finger,
ach nähmest Du doch meine ganze Hand.

Jutta Schmidt


Wer Gott mehr liebt als seinen Nächsten, der liebt ihn noch nicht auf vollkommene Weise.
(Meister Eckhart)Ich kann ohne das mindeste Zögern sagen, dass,
wer behauptet, Religion habe nichts mit Politik zu tun, nicht weiß,
was Religion bedeutet.
(Mahatma Gandhi)


Ziviler Ungehorsam wird zu einer heiligen Pflicht,
wenn der Staat den Boden des Rechts verlassen hat.

(Mahatma Gandhi)


In meinem täglichen Leben ist nichts,
als was mir jeweils von selbst zufällt.
Nichts ergreifend und zurückweisend
gibt es kein Hindernis, keine Trennung.
Ich habe kein anderes Ehrengewandt
als der blauen Berge strahlende Klarheit.
Meine wunderbar magische Kraft
liegt im Wasserholen und Holzhacken.

(P’ang-yün)