30. November

Das Taxi ist für 15 Uhr bestellt, ein bisschen früh, aber sicher ist sicher bei einem fix terminierten Zug (normalerweise hab ich ein Flexticket).

Die vergangene Nacht war ungewöhnlich schlecht. Bis halb drei Uhr morgens hat mich fünfmal eine triefende Nase geweckt. Die einzige Rettung war, mich auf den Rücken zu legen, und so hab ich dann bis ca. halb fünf im Halbschlaf zugebracht. Dann hatte sich die Nase beruhigt, so dass ich mich wieder auf die Seite legen und noch eine halbe Stunde schlafen konnte. Hab mir dann noch einen zweimal zehnminütigen Schlafzuschlag gegönnt.

Bei einem Termin in der Stadt nochmals Ursl getroffen, die mir 250 g geröstete Haselnüsse als Reiseproviant mitbrachte. Sehr nett. Ich muss mich richtig bremsen, um sie nicht gleich aufzufuttern. Ich LIEBE Nüsse.

Hab mich doch noch entschlossen, Giovannis Zimmer von James Baldwin mitzunehmen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Giovannis_Zimmer) Sind ja „nur“ 200 Seiten.

18.13 Uhr

Bin schon auf meinem Zimmer. Mehrfach Glück gehabt: Der Zug kam pünktlich in Würzburg an und hatte „nur“ Verspätung, als er am Airport ankam. Dann hatte ich noch in Erinnerung, dass am Steig vor Terminal 1 die Shuttle-Busse abgehen zu den Hotels. Nur wie komme ich dahin in diesem Gänge-Labyrinth? Während ich mich das frage und in Richtung Terminal 1 marschiere, sehe ich einen Flughafen-Mitarbeiter gelangweilt an der rechten Gangwand stehen. Also frage ich ihn, wie ich zu den Hotels-Shuttles komme. Er verweist mich auf eine nahegelegene Treppe nach oben. Ein Schild besagt: Busbahnhof. Klingt gut. Ich gehe nach draußen in die Kälte, aber da ist kein Busbahnhof, sondern eine Straßenbaustelle. Ich überquere die Straße auf die andere Seite, wo mehr los ist, und dort entdecke ich die Abfahrtrampe, wo ca. zehn Shuttles stehen. Meines soll mich zum Moxy Hotel Kelsterbach bringen. Die ersten drei, vier gehören zu anderen Hotels. Ich frage einen der Fahrer, ob hier irgendwo auch das Shuttle zum Moxy steht. Er meint: „Da haben Sie Pech gehabt, das ist vor fünf Minuten abgefahren.“ „Und wann kommt das nächste?“ „In 40 Minuten.“ Blöd, aber da kann man nichts machen, höchstens ein Taxi nehmen oder in die Halle gehen und 40 Minuten abhängen. Während ich noch so überlege, meint er: „Ich kann Sie auch hinbringen, muss ich eben einen Umweg machen. Kostet Sie zehn Euro.“ Das ist doch eine Idee, günstiger als Taxi allemal. Also verstaut er meinen Koffer, seine Gäste sind schon alle da, aber neben ihm ist derBeifahrersitz frei. Eine Minute später brausen wir in dem Kleinbus los, er lässt seine Gäste aussteigen und fährt mich dann – ca. einen Kilometer weiter – zum Moxy.

Das Restaurant hat geschlossen, heißt es, aber ich könne ganz in der Nähe eins aufsuchen. Nochmals raus in die Kälte, das ist keine gute Idee. Na, ich  geh erst mal auf mein Zimmer – modern langweilig, aber völlig okay. Die obligatorische Kieferbrettimitation am Kopfende ist sm oberen Ende indirekt beleuchtet. Gäste aus Unterschweinheim, die erstmals in einem Hotel nächtigen, würde das vermutlich beeindrucken. In der Dusche/Toilette erstaunt mich ein Detail: Unter dem Waschbecken ist eine Ablage für die Handtücher. Und es gibt einen Außenschalter neben dem Hauptschalter, mit dem man nur dieses Fach beleuchten kann – angenehm, wenn man nachts mal muss und nicht wachgeblendet werden will.  Zusatzplus: Am Bett gibt es einen gut ausrichtbaren Punktstrahler als Leselampe. Ich leg meinen Kram ab, schreibe hier meine Notizen und erinnere mich dankbar an Ursls geröstete Haselnüsse. Damit kann genau genommen kein Restaurant um die Ecke mithalten.

Ich begebe mich, mit James Baldwins „Giovannis Zimmer“ in der Hand, nach unten, hole mir an der Bar – die zugleich die Rezeption ist – ein Glas Rotwein und mache es mir in der Lounge auf einem Sessel gemütlich. Direkt neben mir schmückt eine weißhäutige, sitzende, nackte Schaufensterpuppe den Raum; wenn ich meinen rechten Arm ein wenig ausstreckte, könnte ich ihre wohlgeformten Oberschenkel und Brüste streicheln. Sie ist so modern wie trostlos, oder sind das Synonyme? Schräg gegenüber, auf einem Zweisitzer, ein postmodernes Pärchen, sie eine leicht aus der Form geratene, dunkle italienische Schönheit im Minirock, er ein stark aus der Form geratener deutscher Nerd mit blondstoppeligem Glatzkopf. Vor beiden, auf einem Tischchen, stehen zwei halbvolle, schlanke Gläser Weißwein sowie eine Flasche Wasser und zwei Wassergläsern. Beide ca. 35 Jahre alt. Sie spielt gelangweilt auf ihrem Handy herum, er arbeitet konzentriert an seinem Laptop, das sich vorschriftsgemäß auf seinem Schoß befindet. Ab und zu erinnert er sich an seine noch schöne Begleitung und wirft ihr, wie einem Hund, ein paar Worte als “Leckerli“ zu, die sie begierig aufschnappt, aber es kommt zu keinem Gespräch, weil er viel zu schnell wieder in seiner Maschine versinkt. Nach einer Weile legt sie ihr Handy beiseite und steichelt seinen Glatzkopf langsam und aufmerksam. Ob ihm das guttut, kann ich nicht erkennen.

Trotz des erheblichen Ablenkpotenzials schaff ich’s bis Seite 64. Einen Satz hab ich mir angestrichen: „… ein grundlegendes Problem des Lebens besteht darin, dass das Leben so banal ist.“
Und diesen: „Menschen, die glauben, willensstark zu sein und ihr Schicksal in der Hand zu haben, können an diesem Glauben nur festhalten, indem sie sich zu Spezialisten der Selbsttäuschung entwickeln.“

Ich hoffe, die Nacht wird geruhsamer als die vorige, hab nochmals 2 Grippostad eingenommen.

1. Dezember

Sie war deutlich besser. Es geht also aufwärts. Ich habe ziemlich genau von 9 Uhr bis 5 Uhr geschlafen, acht Stunden, und nicht einmal die Nase geputzt!

07:02 Uhr

Ich sitze am Flughafen, habe erfolgreich eingecheckt und die Boarding-Card in der Tasche. Jetzt hätte ich noch 2,5 ruhige Stunden, um was zu arbeiten, komme aber nicht ins Flughafennetz. Das sagt mir die ganze Zeit, ich solle die zugesendeten Zugangsdaten eingeben, aber nicht, wohin sie gesendet wurden. Per SMS kamen sie nicht. Hab nen Hotspot via Handy eingerichtet (mit dem ich ins W-LAN kam), aber auch per E-Mail ist nichts gekommen. Also wird nichts gearbeitet, sondern gelesen. So wird man zu seinem Glück gezwungen.

17:32

Hab’s dann doch noch geschafft. Ich war zu faul, mit allem Gepäck durch den Flughafen auf der Suche nach nem Info-Point zu suchen. Aber auf dem Weg zum dem Abfallbehälter für meine Tüte Butterbrezel hab ich dann doch einen ganz in der Nähe entdeckt. Dort erfuhr ich, dass man mit dem Laptop nicht via Flughafen-LAN ins Netz kommt, sondern man weiterscrollen muss zum Telekom-LAN. Das hat dann funktioniert.

Der Gedanke, hier mit der Arbeit zu beginnen und sie dann wieder abbrechen zu müssen, um durch die Kontrollen in den Abflugbereich zu kommen, ließ mich meine Sachen wieder zusammenpacken und gleich zur Abflughalle zu gehen. Dort fand ich auch ein recht praktisches Tischchen nahe einer Steckdose und begann mit meiner Alltagsarbeit, als nebenan, 1,5 Meter entfernt, eine ca. 65-jähige Frau per Wägelchen abgesetzt wurde, weil sie Gehprobleme hat, eine Deutsche.

Weil ich etwas trinken wollte, stand ich auf und fragte sie, ob ich ihr etwas mitbringen solle. Das fand sie eine gute Idee. Sie passe inzwischen auf meine Sachen auf. Also holte ich ihr eine Flasche Mineralwasser und mir eine Fläschchen Orangensaft. Bei unserem anschließenden Plaudern ergab sich, dass sie seit 35 Jahren auf Mallorca wohnt und eben von einem Familienbesuch heimkehre. Als ich Hedda erklärte, dass ich in Sa Rapita wohnen würde, meinte sie, das liege so halb in ihrer Richtung und sie könne mich bis Campos mitnehmen. Na wunderbar.

Die zwei Stunden Flugzeit waren mit James Baldwin und einem Nickerchen schnell rum. Der erste Eindruck von Mallorca: reich, luxuriös. Die Halle, in die wir kamen auf dem Weg zu den Gepäckbändern, wirkte wie ein Luxus-Mall, ansehnlicher als Frankfurt. Und die Toilette, die ich auf halbem Weg – der gefühlt mindestens einen Kilometer lang war – aufsuchte, spiegelte mit ihren dunkelgläsernen Wänden, westlicher Wohlstand pur.

Hedda traf ich am Gepäckband. Sie hatte ihr Auto am Flughafen geparkt. Draußen strahlende Sonne mit Wolken, in der Sonne mindestens 25 Grad. Wir gingen zusammen zu dem Parkplatz-Unternehmen, vor dem sie mir ihre Koffer überließ, reinging zum Zahlen und dann ihr Auto holte. Währenddessen hab ich gleich mal meine Wolljacke und Windjacke in meinen Rucksack gepackt, so kuschelig warm ist es. Zuvor hatte Hedda mir erzählt, sie habe einen Genickbruch gehabt und sei deshalb eingeschränkt. Sie hätte auch querschnittsgelähmt sein können oder tot. „Ich habe mir die beste der Möglichkeiten ausgesucht“, meinte sie. Also hab ich ihr natürlich den schweren Koffer ins Auto gehoben.

Nach Campos waren es vielleicht 20 Minuten. Hedda kannte die Bushaltestelle und fuhr mich da hin, ohne zu wissen, wann der nächste Bus nach Sa Rapita gehen würde. Ich schaute auf den verschiedenen Täfelchen der nacheinander angeordneten Bushaltestellen, fand auch einen Anschlag für Sa Rapita, aber nur Montag bis Samstag. Heute war Sonntag. Also den Rest per Taxi? Ich erzählte Hedda die Misere und sie meinte: „Dann fahr ich Sie eben dort hin.“

Was nochmals ca. 15 Minuten dauerte. Ihr Navi zeigte die Carrer de sa Llagosta 52 an, aber als wir da ankamen, gab es die 52 nicht, nur die 50 und die 54. Also versuchte ich, Frau Olive und Herrn Insel anzurufen, mit denen ich ja zusammenwohnen würde. Aber die waren auf einer Wanderung. Ich teilte ihnen auf WhatsApp mein Problem mit und sie meinten, die Adresse stimme. Vor dem Haus stehe ein blaues Wohnmobil. Wir sahen keins in unserer Straße.

In einem ziemlich chaotischen Prozess fanden wir dann doch das blaue Wohnmobil ganz in der Nähe und entdeckten, dass der Straßenname nicht Sa Rapita, sonder La Rapita hieß. Ein verdammter Buchstabe. Aber dann war alles gut. Julian hatte ein kleines Video in unsere WhatsApp-Gruppe gestellt, in dem er das Schlüsselversteck erklärte – gut genug, dass ich’s auch fand und Hedda signalisieren konnte: Alles okay. Sie schrieb mir noch ihre Telefonnummer auf einen Zettel, und nachdem ich mich herzlich bei ihr bedankt hatte, Geld wollte sie nicht, fuhr meine gehbehinderte Glücksgöttin winkend davon.

19:00 Uhr

Letztlich habe ich eine ganze Wohnung zur Verfügung: ein großes, sehr gemütlich eingerichtetes Wohn-/Esszimmer, mein Zimmer und eine große Küche. Mein Zimmer, ziemlich quadratische 16 qm, aber mit allem was ich brauche: ein großes Bett, Regale, einen großen Kleiderständer, wo jetzt meine zwei Ersatzhosen, zwei Pullis, die warme Wolljacke und die Regen-/Windjacke hängen sowie – bestes Stück für mich: mein Schreibtisch: eine halbrunde Glasplatte, die auf ein altes, gusseiserne Nähmaschinenmodel montiert ist.

Als erstes will ich zum Meer, wo sich in der Ferne links ein dunkler Landsockel erhebt, vermutlich Spanien. Am Ufer eine kleine Schifflände, der Strand ist ungepflegt, eher steinig, wild und einen Hauch romantisch, nach rechts und links breiten sich ca. einen Kilometer lange, hübsche Häuserzeilen aus. Außer mir führt 100 Meter rechts eine Frau ihren Hund aus, vor mir am Ende der Lände steht ein Mann und fotografiert das Meer. Das ist alles. Vorwiegend ist es ruhig, nur die Wellen rauschen verhalten.

Das Meer lag um die Ecke

Ich gehe nach links ein Stück weit an den Häusern entlang, vorüber an einer geschlossenen Apotheke und einem Spar-Laden. Der ist offen, also gehe ich gleich mal rein und besorge mir zwei Flaschen Rotwein (ca. 7 + ca. 9 €) sowie Gemüse und Tomaten, ein Weißbrot (was Besseres gibt’s nicht) und Guacamole als Aufstrich. Insgesamt zahle ich rund 21 Euro, weniger als zu Hause. Ein Stück weiter entpuppt sich eine Panaderia und Pastereria als Restaurant heraus. Auf der Außenterrasse wimmelt es von Einheimischen. Einen Moment lang überlege ich, ob ich da zu Abend essen will, entschließe mich aber dagegen. Grade hab ich keine Lust auf Gewimmel, obwohl der Slogan gut klingt: Todo hecho por nosotros con los mejores ingredientes – Alles hausgemacht mit den besten Zutaten. Werde ich sicher mal ausprobieren.

Klingt vielversprechend

21:40 Uhr

Meine beiden Mitbewohner – sie wohnen im 1. Stock, ich im Parterre gleich neben dem Wohnzimmer, hatte ich mir anders vorgestellt, älter. Sie wirken wie meine Enkel. Frau Olive, schlank und sexy mit knallengen bunten Leggings, einem zierlichen Kopf und dunklem, kurzen Haar, könnte 22 Jahre alt sein und arbeitet als Bildungsreferentin im Homeoffice, ihr Freund, Herr Olive, ebenfalls eine Bohnenstange, hat sich gleich nach der Lehramtsprüfung nach Mallorca beworben und ist vielleicht 26. Beide Vegetarier.

Wir haben zusammen zu Abend gegessen. Ich hab mir aus meinen Einkäufen eine Brotzeit zusammengestellt, sie haben sich Kartoffeln mit einer Pilz-Sahnesoße gemacht. Danach haben wir zusammen abgewaschen. War ganz nett, ich denke, wir kommen gut miteinander aus. Olive könnte einen Putzfimmel haben. Als ich meinte, die Küche habe auf mich so gewirkt, als sei sie unbenutzt, sagte sie: „Ich mag’s eben sauber.“ Und als wir über die Waschmaschine sprachen und ich sie bat, mir Bescheid zu geben, wenn sie die nächste Maschine wasche, sagte sie: „Ich wasche öfters, ich mag’s eben sauber.“ Tatsächlich der gleiche Spruch. Eindeutig hat sie in der Beziehung die Hosen an.