16. Dezember

18:33 Uhr: Wer hier reinkäme ins Wohnzimmer, könnte es für die reine Idylle halten. Da sitzt so’n alter Typ an seinem Laptop auf dem hölzernen Esszimmertisch, externe Tastatur davor, links neben ihm liegt sein Handy, rechts von ihm ein Pott heiße Zitronenlimonade mit Honig, davor ein kleines Brotzeit-Brettchen, auf dem er sich einen Apfel und eine Banane aufgeschnitten hat, am Rand liegen ein paar Walnusshälften. Er schreibt an seinem Tagebuch, und hinter ihm, im Eck neben dem deckenbedeckten Riesensofa mit den vielen bunten Kissen, faucht leise der Pelletofen. Durch Glas der Ofentür fällt Feuerschein auf die Steinfliesen.

Doch vor einer Stunde saß der „Typ“ noch nicht so friedlich da, sondern hat versucht, den Ofen in Gang zu bringen in der Erwartung, dass es wieder mal nicht klappen wird und dass er sich voraussichtlich in einer halben Stunde in eine Wolldecke wickeln muss, um sich wohlzufühlen. Heute früh gab’s das gleiche Spiel – gegen halb sechs – schon einmal. Da hat dann der dritte Versuch – gegen halb acht – endlich geklappt. Dazwischen gab’s die Wolldecken-Heizung. Ärger hatte er mit dem Ofen schon ein paar Tage lang.

So, nun wieder zurück zur Ich-Form. So sieht’s also aus, der Ofen ist die Schwachstelle. Ich hab dann heute Morgen meine (abwesende) Vermieterin via WhatsApp informiert und gebeten, sie möge sich doch um die Sache kümmern. Morgen früh kommt eine Pelletofen-erfahrene Freundin von ihr vorbei und schaut mal nach dem Rechten. Hoffentlich hilft’s was. Das Problem ist die Elektronik (ohne Elektronik geht ja heutzutage gar nichts mehr). Oft will das Ding nicht zünden und sagt dann: Alarm, no access. Wir haben keine Ahnung, was das bedeutet, auch die Bedienungsanleitung hilft uns nicht weiter.

Morgen Vormittag will ich zur Halbinsel Alcúdia fahren, weil ich dort eine schöne und wohl auch für meine untrainierten Beine machbare Rundwanderung gefunden habe: 12,7 km. Die Wegbeschreibung hab ich mir auf Google Drive hochgeladen, so dass ich sie morgen dabei haben kann. Bei der Suche nach dieser Tour kam ich mir mal wieder ziemlich alt vor. Die meisten Wanderungen kann per GPS laufen, wofür man wieder ne App braucht und die dann auch bedienen können muss. Grummel! Aber jetzt hab ich ja was gefunden. Wettervorhersage: wolkig bis 17°C.

17. Dezember, 17 Grad

21.42: Heute Morgen war ich erst mal in eine Wolldecke eingehüllt an meiner Arbeit gesessen. Um 10 Uhr kam Alex wegen des Ofens, konnte aber auch nichts feststellen. Wir machen alles richtig, nur der Ofen nicht. Na denn; hab die Vorgänge meiner Vermieterin mitgeteilt und mich dann auf den Weg zur Halbinsel Alcudia gemacht, rund 60 km.

Witzigerweise hab ich eine ganz andere Wanderung gemacht als ich vorhatte. Denn auf der Wegbeschreibung stand: „Der erste Anstieg führte moderat über eine breite Forststraße aufwärts.“ Stimmt, die hab ich gefunden und ging sie hoch; nur wie weit? „Sobald wir die ersten paar Hundert Meter hinter uns gelassen hatten, gab es die ersten tollen Aussichten zu bestaunen.“ Kann ich bestätigen. „Kurze Zeit später verläuft der Weg im Zickzack-Kurs steiler bergauf.“

Jetzt begannen mich die 2 unklaren Angaben zu verwirren: „die ersten paar Hundert Meter“ – das sind nach meinem Sprachverständnis drei-, vier- oder fünfhundert Meter. Und dann „kurze Zeit später“ – sind das fünf Minuten oder 20 Minuten? Nach ca. 500 Meter führte nach links ein Steig in den Berg. Das sah verlockend aus und könnte der „Zick-Zack-Kurs“ sein. Hm … aber erst mal blieb ich auf dem breiten Weg, wo mir eine Mallorkinerin mit einem dicken Amerikaner entgegenkamen. Ich fragte, ob dieser Pfad links auch zum Gipfel führt. „Ja“, sagte der Amerikaner, „but it’s a completely different area. And dangerous.” Na gut, dacht ich mir, dann geh ich hier mal weiter. Aber nach weiteren 300 Metern blieb der Weg so breit, wie er war und schien sich im weiteren Verlauf auch nicht zu ändern. Also bin ich zurückgelatscht und hab mich auf den Pfad begeben. Der war auch ganz wunderbar, ein richtiger Pfad eben, oft kaum sichtbar unter dem Bewuchs,. Selten breiter als 50 Zentimeter. Der Hang war mäßig steil und fiel erst in ca. 50 m Entfernung ab. Schließlich erreichte ich ein kleines, schon ziemlich hochgelegenes Plateau, wo sich eine vielleicht 25-jährige Deutsche sonnte. Ich fragte sie, ob sie wisse, ob man, wenn man weitergehe, zum Gipfel hochkomme (Penya des Migdia, wie ich später rausfand). Sie meinte, sie wisse es nicht genau, der Pfad verliere sich allmählich und man müsse schon ein bisschen klettern. Sie sei nicht oben gewesen. So ein paar Zweifel haben mich da schon beschlichen, aber ich hab sie verscheucht und bin weiter gegangen. Das Gelände wurde allmählich steiler und führt auf einen hohen Felskamm zu. Wie der zu umgehen war, konnte ich mir nicht vorstellen. Hoch klettern hätte man nur mit Seil und Steigeisen gekonnt.

Beim Näherkommen zeigte sich ein Loch im Fels, ein menschengemachter kleiner, vielleicht 1,50 hoher Tunnel, durch den man auf die andere Gratseite schlüpfen konnte. Da der Pfad dort komplett ausgesetzt war (maximal 50 cm nach links ging’s ein paar Hundert Meter runter), waren rechts an der Felswand Eisenketten zum Festhalten angebracht. War trotzdem ein mulmiges Gefühl, das mich nicht ganz verlassen  hat, bis ich endlich oben war. Nach ca. 50 Metern wurde das Gelände wieder beherrschbar. Zur Feier des Tages hat mich dort eine wilde, ausgesprochen hübsche braune Bergziege begrüßt. Sie ist „Besucher“ offenbar gewohnt und hat seelenruhig weiter geäst, während ich keine zwei Meter an ihr vorbeiging. Der Pfad führte relativ horizontal bis zu einer ehemaligen Soldatenunterkunft, einer flachen, vielleicht zehn Meter langen und vier Meter breiten, noch ziemlich intakten Steinhütte. Von da aus wandte er sich in Falllinie direkt nach oben. Erkennbar war er an manchen ausgetretenen Stellen zwischen den Felsenbrocken und an blauen, meist ausgeblichenen, fast nicht mehr sichtbaren blauen Punkten alle paar Meter. Schwer zu sagen, wie viele Höhenmeter das noch zum Gipfel waren, vielleicht hundert. Ich war schon ein Stückchen raufgekrabbelt (immer darauf achtend, dass meine Kamera nicht gegen einen Felsen krachte), als mir Zweifel kamen. Das würde ganz schän anstrengend werden. Oberhalb von mir hörte ich Stimmen  und entdeckte, vielleicht 30 m von mir, einen schlanken Mann um die 40, der nicht wie ein Spanier aussah. Also rief ich auf Deutsch: „Entschuldigung, aber lohnt sich der Weg nach oben?“ Er antwortete: „Español or English!“ Also rief ich: „Is it worthwhile climing up?” “Oh, sure”, antwortete er: “it’s absolutely spectacular.”

Und Recht hatte er! Ich musste zwar immer wieder nach dem Pfad bzw. den blauen Markierungen suchen, immer im Gefühl: kein Fehltritt bitte, nicht ausrutschen, nicht umknicken! Ich denke, ich habe selten so achtsam meine Füße gesetzt. Aber schließlich war ich oben auf dem kleinen, vielleicht 5 x 8 Meter großen Gipfel-Plateau und hatte wirklich einen grandiosen Blick nach allen Seiten, den ich auch mit der Kamera festgehalten habe, natürlich auch die uralte Kanone, die von dort aufs Meer tief unter mir gerichtet war. Es muss eine Wahnsinnsmühe gewesen sein, dieses Trumm hier hochzuschleppen. Der Abstieg hab ich mir viel schlimmer vorgestellt, als er dann tatsächlich war – mal von den Oberschenkeln abgesehen, die ich immer mal loben musste, dass sie noch durchhielten. Manchmal musste ich mich auch rückwärts auf dem Hosenboden „abseilen“. Ein paar Minuten, bevor ich zum Parkplatz kam, hatte ich das englische Ehepaar, das mich aufgemuntert hatte, eingeholt und bedankte mich. Sie waren auch das erste Mal auf Mallorca und wollen unbedingt wiederkommen. Kann ich mir auch gut für mich vorstellen.

18. Dezember

11.04: Mein Frühstück bestand heute aus einer Kanne heißem Ingwerwasser (mit Honig), einer Tasse Kaffee, 3 Spekulatius und einem fingergroßen Stück Marzipan (ich bin der totale Marzipan-Addict). Das ist natürlich höchst unvernünftig. Aber weil ich ja gestern Abend essensmäßig ziemlich „zugeschlagen“ habe, hab ich mir das Frühstück versagt. Spekulatius und Marzipan gelten mir nicht als Frühstück, wobei ich mir gekonnt in die Tasche lüge. Hier habe ich eben, außer meinem Gewissen, niemand, der mir auf die Finger schaut. Deshalb auch mein Geständnis an dieser Stelle, das mich vor zunehmendem Missbrauch meiner mallorkinischen Freiheit schützen soll.

15.50: Gleich gibt’s Nachmittagsessen: einen Zucchini-Reis-Auflauf ohne Ei. Dazu grünen Salat mit viel Rucola (von dem mir leider die Hälfte verdorben ist, musste ihn richtig auszupfen; die Einkaufsmengen sind immer noch schwierig). Freu mich schon auf die Mahlzeit. Dazu, als geistige Mahlzeit, Dostojewskijs „Die Brüder Karamasow“; auch sehr sättigend.

19. Dezember

14.11: Eine Weile hab ich noch einen Bogen zum die drei Leute gemacht, die mich auf Mallorca interessieren würden, aber inzwischen sehe ich das ganz entspannt und hab sie vorhin mal alle drei angeschrieben: Daniel Christian Wahl (sein Buch, das ich hier verlinkt habe, halte ich schlicht für grandios, wir hatten bereits Kontakt), Tom Amarque (auch schon Kontakt gehabt) und Elisa Gratias (Kontakt über Arwén). Bin auf die Reaktionen gespannt.

Heute Abend gehe ich mit meinen beiden Mitbewohnern essen, sozusagen das Abschiedsessen, bevor sie übermorgen über Weihnachten nach Hause fliegen.

20. Dezember

20.13: Heute Morgen hab ich meine ganz normalen Arbeiten erledigt und schon die Mails bearbeitet. Kurz nach zehn Uhr bin ich nach Palma gefahren, wo ich mich mit Annegret im Mercat de l’Olivar verabredet hatte. Dabei handelt es sich um eine für ihr Feinkostangebot berühmte, große, überdachte Markthalle (https://www.mercatolivar.com/de/der-markt). Wir waren da aber maximal eineinhalb Stunden. Es ist schon richtig, es gab großartige Gemüsestände, aber ich habe nichts davon gebraucht. Zwei Kleinigkeiten habe ich dort erstanden: zwei Päckchen losen Kräutertee – Citronella und Kamille (den Citronellatee genieße ich grade, er schmeckt wirklich wunderbar). Außerdem haben wir dort zu Mittag gegessen, jeder ein ordentliches Stück Spinatkuchen oder so ähnlich. Hat fein geschmeckt. Danach haben wir uns noch einen Kaffee gegönnt.

Anschließend sind wir zu Annegret nach Hause gefahren, sie hat uns nen Tee gemacht und dann haben wir uns, einander gegenüber, im Sonnenschein auf ihren kleinen Balkon im dritten Stock gesetzt, aufs Meer geschaut und meine Notizen zu ihrem 36-Seiten-Paper durchgesprochen (war ziemlich viel). Weil ich ohne Eile war, hat das gute drei Stunden gedauert (bis es abkühlte und mir fröstelig war, weil ich meine Wolljacke im Auto liegen gelassen hatte). Zu Hause hab ich erst einmal den Ofen angeworfen, es hatte auf 17 Grad abgekühlt, und mir Abendbrot gemacht (1 Apfel und 1 Banane aufgeschnitten + 1 Knäckebrot mit Guacamole). Als Nachtisch gab’s zwei große Stücke Schokolade und ein kleines Stück Turrón (sieht ganz aus wie auf dem Foto: https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/szene/2018/12/25/turron-ist-ein-leckerer-klassiker-54136787.html). Parallel gab’s Dostojewskijs literarischen Gaumenschmaus. Vermutlich werde ich noch ca. 1 Stunde lesen, zu allem anderen bin ich zu müde (kein Vormittags- und schon gar kein Mittagsschläfchen).

Übrigens ist Annegret für mich auch deshalb so interessant, weil sie der erste ernstzunehmende Mensch ist, dem ich begegnet bin, der felsenfest an mehrfache Wiedergeburten, „Besetzungen“ durch „fremde Wesenheiten“ und eine mehrschichtige Aura glaubt. Das tue ich zwar nicht, aber mein Unglaube an diese Aspekte ist ebenso wenig logisch beweisbar wie ihr Glaube. Im Grund genommen hat mein Unglaube weniger Substanz als ihr Glaube, denn wenn sie davon spricht, dann spricht sie quasi aus Erfahrung, ich jedoch habe nichts anderes vorzuweisen als dass man „so etwas“ einfach nicht glaubt, weil es nicht ins moderne Weltbild passt. Das ist dann doch wirklich wenig. Zwischen ihrem Weltbild und dem marxistisch-materialistischen von Werner klaffen ganze Milchstraßen. Tolle Spannweite. Aber in zwei Dingen würden sie gut zusammenpassen: Beide halten gar nichts von Esoterik und beide stehen der momentan gültigen Welt von Konsum und Profit mehr als skeptisch gegenüber (wie ich auch).

Im Zusammenhang unseres Treffens gab es einen verblüffenden Umstand. Ich hatte im Parkhaus unter dem Plaza Central meinen Wagen abgestellt und ging durch einen der gefühlt 20 Ausgänge nach oben. Wir hatten vereinbar, dass wir uns dann per Handy verständigen. Ich landete auf einem kleinen Volksfestplatz, machte ein Foto vom Zugang zum Parkhaus (für alle Fälle) und ging in einen Schatten, um WhatsApp aufzurufen. In dem Augenblick kommt unter den Hunderten Menschen Annegret vorbei uns sagt: „Ach da bist du ja.“

21. Dezember

05.57: Vor einer Viertelstunde sind Frau Olive und Herr Insel abgefahren zum Flughafen, weil sie zu ihren Familien in Deutschland fliegen. Zu meiner Überraschung kam Olive noch zu einer Abschiedsumarmung in die Küche. Und als ich nach dem Teemachen ins Wohnzimmer kam, stand da ein kleiner Weihnachtsbeutel für mich auf dem Tisch mit einigen „süßen Tannenzapfen“ und einem Glas Sagria-Marmelade. Wie nett! Werde ich am 24. anbrechen.

Bei meinem Spaziergang zum Supermercato (trink dort nen Kaffee+ein Teilchen und wieder zurück; dauert insgesamt inklusive ein paar Fotos eine Stunde) bemerke ich, dass ich die vielen Blüten unterwegs schon für selbstverständlich halte. Und Palmen? Natürlich stehen hier in jedem zweiten Vorgarten Pamen. Was denn sonst?! [Siehe die Bilddatei]

22. Dezember

9.30 Uhr: Jetzt habe ich ziemlich genau eine Stunde lang nach einer Wanderung gesucht. Die Schwierigkeiten sind für mich mehrfach: zum einen muss ich den Eindruck haben, den Weg tatsächlich auch zu finden, zum anderen soll es ein Rundwanderweg sein oder kurz genug, dass ich hin und zurück laufen kann. Idealerweise gibt es eine Beschreibung dazu. Jetzt hatte ich schon eine spektakuläre Route gefunden mit einer guten Beschreibung und grade, als ich mich entschlossen habe, finde ich heraus, dass man dafür eine Genehmigung braucht (eigentlich toll, weil damit die Umweltbelastung durch die Touristenmassen reguliert wird), die man mindestens zwei Tage vorher beantragen muss. Na ja, vielleicht ja später.

Jetzt knöpfe ich mir die Schlucht Torrent de Pareis vor, angeblich „das gewaltigste Naturwunder der Insel Mallorca“. Alleine kann man nur die Schnuppertour machen (eine Stück rein und wieder zurück), aber ich denke mal, das wird mir genügen. Schon die Straße dort hin quer durch die Serra Tramuntana (Welterbe) soll fantastisch sein.

Auf dem Rückweg kann ich durch Valdemossa fahren, das super schön sein soll, weshalb sich in der Saison wirklich die Massen durchwälzen (1 Stück Kuchen 10 € meinte Frau Olive). Um die jetzige Zeit soll’s angenehm sein. Ersatzweise hab ich mir Butterbrote geschmiert und drei Eier abgekocht. Das sollte – zusätzlich zum kräftigen Müsli heute Morgen – reichen.

20.39: Es hat auch alles so geklappt wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Zugang zur Schlucht war der kleine Hafen Sa Calobra. Bis dahin waren es 89 Kilometer, für die ich zwei Stunden brauchte. Dabei waren die Straßen – wie gewohnt auf Mallorca – in einem ausgezeichneten Zustand. Aber die letzten 20 Kilometer habe ich kaum mehr als einen Schnitt von 30 km/h gefahren; es kam eine Serpentine nach der anderen, und wenn ich nicht durchhetzen, sondern auch nach rechts und links schauen wollte, dann ging’s einfach nicht schneller. Wie die ganze Zeit schon strahlte auch heute die Sonne ganz autoritär vom Himmel, so dass sich keine Wolke vorwagte. Diese 20 Kilometer gehören jedenfalls zu den schönsten Touren, die ich jemals gefahren bin.

Der Weg zur Schlucht Torrent de Pareis

Der Zugang zum Canyon war touristisch angelegt und wurde auch heute, am Sonntagnachmittag, ganz ordentlich angenommen. Ich schätze, es waren insgesamt vielleicht 50 Leute gemeinsam mit mir unterwegs (was für einen mallorkinischen Hotspot natürlich nichts ist. Dementsprechend waren die Kassenhäuschen auch alle geschlossen, und ich konnte, ohne einen Cent zu bezahlen, die beiden Fußgängertunnels, die durch den Fels geschlagen waren (jeder ca. 50 m lang) nutzen, um das ca. 200 Meter breite Delta des Flusses zu erreichen (el torrente = Sturzbach, Wildbach).

Nachdem es die ganze Zeit trocken war, ist auch der Kies im Delta weitgehend trocken, so dass ich problemlos „flussaufwärts“ gehen konnte. Das war auch gut so. Im Netz steht diese Warnung: „Diese Tour ist sehr schwierig. Niemals allein dort wandern und niemals, wenn es Wasser gibt. Vorsicht mit den äußerst rutschige Felsen wenn es nur ein bisschen geregnet hat. Nie bei Wettervorhersage mit Regen!“

Die ca. 100 bis 200 Meter hohen Wände der Schlucht verengten sich zusehends und plötzlich war nicht nur der Kies zu Ende, sondern auch das touristische Interesse. Ich stand vor einer Wand von meterhohen Felsblöcken und überlegte, wie ich wohl an denen vorbeikäme. Eine Gruppe von vier amerikanischen jungen Männern kam auch eben an; sie sahen meine fragenden Blicke und einer von ihnen deutete auf einen in den Boden gerammten Pfahl auf der linken Seite: „That’s where we go.“ „Oh, have you been here before?“ „Yes.“ Also ging ich los und schlug mich links in die Büsche. Und da gab es tatsächlich eine Passage mit kleineren Felsbrocken; der Anfang war gemacht. Im Grunde genommen bestanden die nächsten vielleicht eineinhalb Kilometer aus nichts anderem als aus einem Ausprobieren, wie man die vom Wildwasser angeschwemmten Felsen (die heute alle weitgehend trocken waren) überwinden kann.

Schließlich kamen zwei Stellen, wo ich alle meine Kraft brauchte, um heil drüber zu kommen. Die letzte davon machte mir klar, wo die eigentliche Schwierigkeit liegt. Der Fels, den ich überwinden musste, war ungefähr so groß wie ich, rund und von Jahrtausenden Wasser und Besuchern glattgeschliffen. Eine Art riesiger Schmeichelstein, der mir den Weg versperrte. Auf der rechten Seite gab es im raueren Fels einen Tritt auf ungefähr 30 Zentimeter Höhe, aber oben auf dem Stein nichts, woran ich mich festhalten und hochziehen konnte. Na ja, irgendwie hab ich’s dann doch geschafft, die Amerikaner waren inzwischen weit vor mir. Alle vier waren mindestens einen Kopf größer als ich. Das hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Die nächsten zwei- dreihundert gab es kein ernsthaftes Problem, aber dann kam die nächste Felsbarriere, und zwar eine, die sich ebenso wenig umgehen ließ wie mein Schmeichelstein. Ich ging nah ran, um mir die Sache anzuschauen. Der ca. drei Meter hohe Fels hatte zwar mehrere Kerben und Löcher, aber keine Ritzen, um sich hochziehen zu können. Keine Ahnung, wie die Amis da hochgekommen waren. Und selbst wenn ich hoch schaffen würde, der Rückweg war mir hier undenkbar. Das war also das Ende meiner Tour. Hier weitergehen zu wollen, wäre mehr als waghalsig gewesen. Den Rückweg kannte ich ja jetzt einigermaßen (wo in solchem Gelände der Rückweg oftmals wie ein neuer Weg ist). Mein Schmeichelstein war wieder das schwierigste Hindernis. Ich hab bestimmt zehn Minuten für diese zwei Meter Weg gebraucht.

Hier ging’s für mich nicht mehr weiter

Auf dem Parkplatz hab ich dann mit großen Vergnügen meinen Butterbrot+Ei-Proviant verzehrt. Eigentlich hatte ich mir noch Valdemossa anschauen wollen, aber es war schon halb fünf, zu spät.

Zu Hause hab ich erst den Ofen angeworfen und dann meine Freundin Ursl angerufen, mit der ich eigentlich um fünf Uhr einen Termin gehabt hätte. Der Torrent de Pareis hatte das anders gesehen.

Nach unserem Gespräch hab ich mir einen großen Gemüseeintopf bereitet, mit Genuss einen Teller davon verzehrt und dazu Dostojewskij gelesen. Und anschließend dieses Tagebuch weitergeführt. Dabei zu guter Letzt ein Ärger. Aus unverständlichen Gründen sind von den bestimmt 20 Fotos, die ich gemacht habe, nur vier auf der Chip-Karte. Aber das ist nicht schlimm. Erstens ist unter den vieren der Terminal-Fels, die ich mir nicht mehr zugetraut habe, und zweitens gibt es grade vom Torrent viele Bilder im Netz. Die kann ich zwar nicht hier in den Blog stellen, aber wenigstens privat zeigen.