Nochmals der 25. Dezember

Doch, ne Kleinigkeit gibt es noch zu erwähnen. Ich habe heute einen Spaziergang unternommen mit der einfachen Idee: ich gehe in der Siedlung (in einer Richtung) immer geradeaus, mal schauen, wo mich das hinbringt. Na ja, nach 20 Minuten stand ich in der Macchia und konnte nicht mehr weiter. Irgendwie interessant war’s trotzdem, zumal ich auf ein seltsames, verwildertes Grundstück gelangte mit einem relativ großen Haus, alle Türen und Fenster offen, viel Müll in den leeren Zimmern, aber auch zwei vermüllte Schlafplätze. Bei manchen Türen dachte ich schon: Vielleicht ist da jemand und hab sie sehr vorsichtig geöffnet, aber es gab keine unangenehme oder angenehme Begegnung. Neben dem Haus liegt ein großes, verrottendes Schwimmbecken (ich schätze 15 m lang und 2 m tief) und auf der anderen Seite zwei vergammelte Tennisplätze. Ist bestimmt günstig zu erwerben. Machte einen verhexten Eindruck.

Heute Abend hab ich mich wieder mit den Bildern rumgeschlagen, außerdem gibt’s eine Menge Mails durchzuschauen. Die Infoflut hat noch nicht wirklich nachgelassen. An Weihnachten und Neujahr machen sich meine vielen Kontakte am unangenehmsten bemerkbar: Die Mail-Accounts sind voll von banalen Glückwünschen von Firmen und Organisationen, die meinen, sie müssten mir Glückwünsche überbringen. Da ist es eine richtige Wohltat, wenn mal echte, bekannte Menschen drunter sind.

26. Dezember

Bislang war ich noch zu sehr mit der inneren Herausforderung und Bewältigung des Alleinseins beschäftigt, um über mein Alleinsein nachzudenken. Heute wurde mir das zum ersten Mal „körperlich“ bewusst:

Hier gibt es keine Inge, die dann und wann mit einer kleinen Liebesgabe in der Tür steht, mich mit köstlichem Essen versorgt und mich von allerlei Aufgaben des Alltags frei hält; hier gibt es keinen Gerd, der den Mut hat, mich auf meine altertümliche Körperhaltung hinzuweisen und mich von meiner technischen Tölpelhaftigkeit entlastet; hier gibt es keinen Saif, der mich immer wieder mit seinem Mut überrascht, seinem starken Gottesglauben und seiner jugendlichen Ernsthaftigkeit; hier gibt es keine Zuneigung und vorbildliche Lebenstapferkeit von Ursl, kein Gläschen Whisky zum Teilen, hier bin ich mit meinem Rotwein allein; hier gibt es keine vorzüglichen Gespräche mit Frank und die erwärmende Freundschaft von Randall; hier gibt es keine kulinarischen Eisenbahnknotenpunkte mit so unnachahmlichen Namen wie Time Out oder Food Mantra; hier bin ich wirklich physisch allein. Wenn ich vor die Tür trete, dann kenne ich jetzt, nach knapp einem Monat, die kleine, wilde Parkanlage nebenan, weiß, wo die Straße hinführt, freue mich auf den Anblick des Meeres fünf Minuten von hier, aber vertraut? Vertraut ist es nicht, ist noch nicht unter der Haut angekommen.

„Haut“ ist das Stichwort. Alle diese Bezüge sind letztlich innere Bezüge, sind innere, bleibende Orientierungspunkte, an die ich mich innerlich wenden kann, eine Art inneres Sicherheitsnetz, in das ich mich fallen lassen kann. Und es ist gerade das Alleinsein, das mir die starken Fernkontakte stärker ins Bewusstsein hebt, als das in Würzburg der Fall ist, denn auch dort ist, wie hier, die physische Ferne der Normalzustand, geht aber im Alltag leicht mal unter. Zuallererst sind das meine Kinder Lena in Berlin, Jonas in Adelsberg und Alistair in Antigua/Guatemala. Mit ihnen zu kommunizieren oder sie sogar per Video live vor mir zu haben, gleicht einem inneren Lagerfeuer. Und an diese Wärmequelle setzen sich mein Bruder Lothar in Wallrabenstein, mein Bruder im Geist Alander in Elbenberg, mein spiritueller Gefährte Gerhard, mein Freund Ray und seine Frau Claudia aus Erfurt, mein politisch-mystischer Freund Wolf, meine Freundin Arwén, mit der ich aus beruflichen Gründen auch hier beinahe täglich zu tun habe, die immer mehr zu Freundinnen gewordenen Anke in Timmendorfer Strand und Stefanie vom Tempelhof, mein neuer Freund Petrrr aus der Schweiz. Sie alle legen ständig Ästchen und Äste in die Glut, damit mein inneres Feuer gut und ruhig weiterbrennt. Welcher Schatz an Menschen!

Heute habe ich mit David Abrams Buch „Im Bann der sinnlichen Natur – Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt“ begonnen (hatte es schon in Würzburg angelesen und befand es als „ein Buch für die Insel“. Ist es auch, definitiv. Und nicht so lang wie Günther Anders. Werde ich mir also wohl auch einvergeistigen können.

Heute Mittag gab’s ein selbst erfundenes Mallorkinisches Porridge, höchst köstlich, fand ich. Ich hatte ein klassisches Porridge gemacht (Haferflocken in Wasser aufgekocht mit nem Schwupps Milch dazu, einer reichlichen Messerspitze Butter und Salz) und dann eine ganze Orange gepellt, klein geschnippelt und kurz miterhitzt. Mmmmm …. Dann hab ich mir wieder mein kleines Tischchen auf den Bürgersteig in die Sonne getragen, dort meine Mahlzeit verzehrt, ein bisschen Dostojewskij gelesen und im Sonnenschein geschlummert. So müssen sich in der Sonne ruhende Hunde fühlen.
Eben mal wieder eine knappe Stunde Spanisch gelernt. Ab und zu kommt dann der Gedanke: Was soll das in deinem Alter; es geht doch auch so. Nun, erstens stimmt das so nicht ganz, denn mit jedem Satz, den ich etwa beim Einkaufen ausdrücken kann, weite ich den Kerker meiner Sprachlosigkeit. Zweitens ist die Unterströmung eines solchen Gedankens die Vorstellung: Bald liegste sowieso in der Grube. Angesichts dessen verlieren die Dinge des täglichen Lebens an Bedeutung. Scheinbar. Aber das ist falsch gedacht. Tot hätte ich ja auch schon gestern sein können. Mit anderen Worten: Alles, was ich tue, erlebe, erfahre, ist ein Gewinn: es algo ademas – ist etwas obendrein. Wäre dem nicht so, dann wäre jeder Keim, der aus der Erde spitzt, jeder Bienenflug, jede Blüte, jedes Katzenschnurren, jedes Vogelzwitschern sinnlos. Stirbt ja eh alles. Kurz: Das ist ein dummer, ja kranker Gedanke.

28. Dezember

Gestern Abend hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich endlich einen vollständigen Überblick über meinen Roman habe. (Ein besseres Gedächtnis würde mich mein Leben schon sehr erleichtern.)

Gerhard hat mir unbedingt den Markt von Santanyi empfohlen. Interessant sei auch das Lokal von Uwe Ochsenknecht, die Bar Sa Cova.
War nach der Morgenarbeit hingefahren. Ein Mordsrummel, kann man nicht anders sagen. Mit etwas Glück hab ich auch nen Parkplatz gefunden, was hier immer ein Problem ist. Die vielen Leute allein und die vielen Stände, rund 150 sollen es sein, bringen schon eine gewisse Atmosphäre, auch wenn mindestens 80 Prozent davon Deutsche sind. Na ja, sind auch Menschen, und viele davon gewissermaßen bereits Einheimische.Und die Ochsenknecht-Bar war zu. Na ja …

Tatsächlich hab ich mir was erstanden, eine Mütze nämlich. Aus meinem Vorurteil zum warmen Mallorca heraus hab ich mir nämlich keine mitgenommen, was ich schon ein paarmal vermisst habe. Na, jetzt hab ich sie. Die Afrikaner, der sie mir verkaufte, wollte 12 Euro dafür, für 10 hab ich sie dann genommen. Und wo kommt sie her? P.R.C., ich vermute mal, Peoples Republic of China. Ich schau nach, stimmt. Ich nehme mal an, meinem Kopf ist es egal, von wem er gewärmt wird. Natürlich gab’s einiges, was mich auf dem Markt gereizt hat (aber nicht ausreichend); auch die Speisekarten hab ich mir angeschaut und fand sie allesamt überteuert oder unverständlich oder beides. Fazit: Ja, einen Besuch war’s wert, aber letztlich eben doch der übliche Konsumrummel, wo die Leute alles Mögliche kaufen, nur weil’s zur Stimmung passt (1 kleines Glas frischer Orangensaft: 3,60 €, ein großes 5,20 €; den kann ich mir selber machen zu einem Viertelpreis).

 

Santanyi – Sant Andreu

Da waren dann die Minuten, die ich in Sant Andreu an der Placa Major zubrachte, eine angenehme Abwechslung (Eintritt 1 Euro, eigentlich wollte die alte Frau am Eingang mich so reinlassen, weil ihr ein paar Karten runtergefallen waren, die aufzuheben für sie mühsam war).

Auf dem Weg zurück zum Auto (das ich gefunden habe, ohne meine Notizen zum Standort zu Rate ziehen zu müssen 😊) kam ich an einem attraktiven Weinladen vorbei, vor dem an einem Außentisch mit nem Glas Wein vier vermutlich Deutsch standen. Das ist doch ne Idee, dachte ich mir, und ging rein. Neben vielen Flaschen gab‘s auch Wein vom Fass, die eine Portion zu 2,10 € und die andere für 2,35 €. Da hab ich großkotzig den für 2,35 € ausgewählt, nachdem ich ihn hatte probieren dürfen. Und weil er so WIRKLICH gut war, hab ich gefragt, ob’s den denn auch in Flaschen gäbe (auf Spanisch!!!). Ja, gab ihn, die Flasche ebenfalls für 2,35 €. Na, da hab ich doch zugeschlagen und ein paar Flaschen, vor meinen Augen abgefüllt, mitgenommen. Dazu eine große Packung Mallorkinische Mandeln und afrikanische, getrocknete Bananenstückchen. Anschließend hab ich mich mit meinem Coppa de vino tinto zu den Berlinern gestellt und wir haben nett geplaudert: ein älteres Ehepaar, das von Oktober bis April hier ist, und ein jüngeres, das zu Besuch gekommen ist.

Am Ortsausgang gab’s nen großen Lidl, wo ich mir einiges besorgt habe. Am Wagen-Häuschen saß eine Afrikanerin, ziemlich untergekommen mit gesenktem Kopf und einem Plastikbecher mit ein paar Münzen drin, den sie vor sich hinhielt. Ich hatte einen Euro einstecken, den ich ihr gab. Als ich weitergehen wollte, hatte ich ne Idee und hab sie gefragt, ob ich ihr was mitbringen soll. Sie war so überrascht, dass ihr erst mal nichts einfiel. Aber dann sagte sie ziemlich schnell auf Spanisch etwas mir völlig Unverständliches. Sie bemerkte meine Verwirrung und sagte dann „Spaghetti“. Alles klar. Als ich meinen Wagen zurückstellte, drückte ich ihr ein Kilo Spaghetti in die Hand, das sie gleich mit großem „Gracias!“ in ihre Tasche steckte. Aber ich hatte noch mehr für sie dabei: 1,5 kg Orangen, einen großen Beutel salzige Kekse und noch etwas, das mir nicht mehr einfällt. Da hat ihr schwarzes Gesicht sehr hell geleuchtet und auf dem Weg zum nahen Auto kamen mindestens noch fünf Gracias hinterher.

In Sa Rapita bin ich dann in ein mir bislang unbekanntes Uferrestaurant gegangen, das Pescado al la Parilla anbietet (Fisch vom Grill). Nach rund einer halben Stunde hatte ich eine gegrillte Dorada (Goldbrasse) mit Hausmacher-Kartoffelstücken (vermutlich aus dem Ofen) vor mir liegen. Diesmal kein Wein, sondern Wasser.
Zurück in meiner Wohnung war ich ziemlich schläfrig, hab mich in die Wolldecke gewickelt, ein paar Seiten gelesen und bin dann köstlich eingeschlummert. Seitdem bin ich damit beschäftigt, den Ofen in Gang zu setzen. Irgendwann, zwei Versuche waren schon vergeblich, wird auch das wieder klappen (der dritte Versuch war von Erfolg gekrönt, dauert immer mit allem Drum und Dran ca. 20 Minuten).

Zum 2. Mal sind Bilder von der Chipkarte der Kamera (nach dem Anschauen) verschwunden. Muss ich nächstes mal gleich auf die Festplatte kopieren, ehe das wieder geschieht.