3. Januar
Heute Nachmittag hab ich mir einen kleinen Urlaub genommen, und der sah so aus: Gegen vier Uhr den Ofen ausgemacht, 20 Minuten später ihn ausgesaugt und für später vorbereitet, Rucksack gepackt [na ja, erst mal nur meine Umhängetasche und David Abram („Im Bann der sinnlichen Natur“) reingesteckt], Vokabelzettel eingesteckt und losmarschiert zur „Großen Runde“. Es war so warm draußen (obschon merklich kühler als mittags), dass ich meine Jacke nicht zumachen musste, vielleicht ja auch deswegen, weil ich neuerdings Mütze trage. 😊 Unterwegs hab ich schon mal Spanischwörter wiederholt. Im Supermercato hab ich zweierlei besorgt: cacahuetes (finde ich einen lustigen Namen für Erdnüsse), un aguacate (Avocado), un pepe (Gurke) y tres tabletas de chocolate. Ich gönne mir hier nämlich öfters mal ein Stück Schoki, deutlich öfter als zu Hause (was bedeutet das?! Brauche ich das hier für mein Seelenheil?). An der Kasse hab ich dann zusätzlich einen Café Americano geordert und un bocadillo con salmón (Lachsbrötchen). Um letzteres bin ich jetzt schon mehrfach herumgeschlichen. Heute musste es sein. Witzigerweise sprach mich eine Deutsche an, die sich so ne Art Wiener Würstchen mitgenommen hatte, und meinte: „Sie sprechen doch Spanisch. Können Sie mir sagen, ob die hier hergestellt sind?“ Ich musste grinsen, ich und Spanisch, das sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Aber gut, ich hab mir das Etikett angeschaut und konnte sie beruhigen: „Ja, die kommen aus Palma.“
Dann ging’s unten entlang, wo eben eine große, orangene Sonne ins Meer tauchte. Inzwischen war’s halb sechs. Die deutsche Bar hatte schon offen, also hab ich da, wie erhofft, meinen Kurzurlaub fortgesetzt, hab ein Glas Rotwein geordert, später noch nen Kaffee und mich in aller Ruhe David Abram gewidmet. Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde begann sich die Bar unangenehm zu füllen, aber das war okay, denn dann wollte ich sowieso nach Hause. Der Ofen sprang auch gleich wieder ordnungsgemäß an.
4. Januar
Was mir von diesen zwei Monaten auf Mallorca bleiben wird, ist mindestens die Erfindung des Ingwer-Orangen-Tees: Saft einer großen oder zweier kleiner Orangen, ein daumengroßes Stück Ingwer frisch gerieben in einem Teebeutel/Teesack auf einen reichlichen Liter kochendes Wasser und 10 Minuten ziehen lassen. Mmmmm … Wer will, kann ja noch ein bisschen Honig dazugeben.
Bleiben wird (mir) dieses Tagebuch. Die Tatsache, dass ich es öffentlich schreibe, zwingt mich auch dazu, meinen Aufenthalt hier zwischendurch auch von außen zu betrachten. Natürlich notiere ich nicht alles von den Socken bis zum Mittagsschläfchen; eher finde ich es spannend, Freunden und guten Bekannten (die eben im Verteiler sind), anhand der „Folie Mallorca“ einen gewissen Einblick in meine Innenwelt zu geben. Denn immer bin ich, wie jeder andere auch, zwar einer von vielen und diesen vielen doch oft sehr ähnlich, andererseits aber eben ganz persönlich ich. Wie unterscheiden sich diese beiden? Und welches Licht wirft der eine auf den anderen?
5. Januar
Heute war ich mit Annegret in Port Andratx (ich glaube, man spricht das „Andratsch“). Es gilt als „der“ angesagte Ort für die Reichen und Schönen. Beim Gang durch die Fußgängerzone hab ich mir verschiedene Immobilienangebote angeschaut, eins belief sich auf 998 Millionen Euro. Ein Schnäppchen.
Und sonst? Der Ort ist hoffnungslos verbaut und zugebaut. Annegret meinte, als sie vor zehn Jahren nach Mallorca kam, waren die Hügel rund um Andratx noch grün. Jetzt sind da überwiegend Investment-Immobilien. Ja, des Kapitalismus gierige Hand greift überall hin, wo sich Reibach machen lässt.
Zum Mittagessen gab’s Mondfisch. Ein kräftiges, von der Struktur her lachsähnliches Fleisch, aber weiß.
Annegret wollte mir das Anwesen ihres ehemaligen Arbeitgebers Dieter Liedtke zeigen, der nach ihren Informationen nach Uruquay ausgewandert ist. Aber als wir uns dem Haus nähern, kommt er heraus, begrüßt uns und holt uns in sein Büro. Liedtke ist Maler, aber auch Erfinder und Visionär. An der Wand hängt ein großes Plakat seines neuesten Projekts, das er in Uruquay auf 500.000 qm Grund umsetzen will: den Global Peace Campus. Die Baugenehmigung, erzählt er, habe er schon, und die Unterstützung des Präsidenten persönlich. Es besteht aus vier Einheiten: einer Art Pyramide, einer Art Kopf, einem gigantischen, „von Gott in die Erde gerammten“ Buch und einer Schädeldecke, unter die man wandern kann, um die Synapsen zu erforschen. Die „Pyramide“ soll Begegnungsort für sämtliche Religionen der Welt werden, das „Buch“ soll alle heiligen Schriften enthalten, der „Kopf“ wird Begegnungsort von Kreativen und die die „Schädeldecke“ eine Inspirationsquelle für alle Besucher. Finanziert soll das werden über Eigentumswohnungen im „Kopf“ und im „Buch“. Na ja, so ganz genau wollte ich es gar nicht wissen (sonst säße ich wahrscheinlich jetzt noch dort). Richtig interessant wurde es für mich, weil Alistair (mein Ältester) ja u.a. Menschen mit der Projekt-Finanzierung weiterhilft. Ja, das würde ihn sehr interessieren, meinte er, woraufhin ich seine Karte bekam. Und wer weiß, vielleicht nimmt er Annegret mit nach Uruquay.
Dass man auf Mallorca gut wandern kann, das war mir schon klar, aber dass es hier im Nordwesten ausgesprochen gebirgig ist, das hatte ich nicht erwartet. Ich hätte mich ja auch besser informieren können, aber die Wirklichkeit so 1:1 verpasst zu bekommen, gefällt mir besser, als mit vorgefassten Meinungen anzureisen. Was ich hier auch gelernt habe: Villen können höchst eindrucksvoll sein. Offenbar gibt es für das Äußere eines Wohnhauses keine besonderen Beschränkungen (jedenfalls hab ich keine gefunden, lasse mich aber gerne belehren). Dementsprechend habe ich hier in vier Wochen schon mehr architektonisch eindrucksvolle Häuser gesehen als in 40 Jahren in Deutschland. Oberhalb des Anwesens von Dieter Liedtke, oben auf dem Felsen, konnte man den Vorbau einer Villa sehen, die wohl mal Claudia Schiffer gehört haben soll (so Annegret, also: Gerücht). Das sah nicht nur von unten spektakulär aus, sondern auch von oben; denn rein zufällig kamen wir durch die Straße, an der die Villa lag.
Was bleibt von diesem Tag: die Begegnung mit einem 80-jährigen Künstler und Visionär, dessen Augen noch so leuchten können, wie es gerne von meinen Augen sagen können möchte in neun Jahren.
6. Januar
Was bin ich froh, dass ich die Umzüge der Hl. Drei Könige gestern Abend verpasst habe, weil ich erst davon erfahren habe, als ich schon zu Hause war. Am fünften bringen hier nämlich die Hl. Drei Könige die Geschenke zu den Kindern, die dann heute Morgen geöffnet werden dürfen. In Palma haben sie die Ankunft der Könige zu einem Spektakel ausgebaut: Sie kommen auf einem erleuchteten Schiff in den Hafen mit TamTam und TraRa. Allgemein werden die am 5. Stattfindenden Dreikönigsumzüge mit Faschingsumzügen verglichen. Wenn ich’s vorher gewusst hätte, hätte ich vermutlich damit wirklich meine Zeit verplempert.
Stattdessen hab ich gestern „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewskij fertiggelesen und mit Hermann Brochs Roman „Esch oder die Anarchie“ begonnen, nicht mehr viel geschafft, weil mir schon bei Seite endgültig die Augen zugefallen sind. Hat nur 222 Seiten, ein Klacks gegenüber den Karamasows!
Heute zieht’s mich gar nicht raus. Zum ersten Mal ist der Himmel dicht (allerdings ein beinahe schon poetisch schönes Blaugrau), es ist böig und Schauer sind auch vorhergesagt. Eben (14.20 Uhr) war ich doch draußen. Mit der Windjacke war’s recht angenehm trotz kräftigem Wind, aber 17 °C. Hab mal meine Papierabfälle weggebracht. Seit ich hier alleine war (gestern kam ja Julian wieder), hatte ich immerhin Papier- und Kunststoffabfälle getrennt, nachdem ich die entsprechenden Container entdeckt hatte (Frau Olive hatte gemeint, so etwas gebe es hier nicht). Das Meer war prächtig aufgewühlt und hat sich grimmig gegen die niedrigen Uferfelsen geworfen. Da geht jetzt niemand schnorcheln. Ich hatte auch noch vor, zur Apotheke zu schauen, um dort vielleicht Reishi-Nachschub zu bekommen, aber heute, am großen Weihnachtstag, ist tatsächlich alles geschlossen; nur das Restaurant, wo sich die Deutschen tummeln, war rammelvoll. Und den Namen der deutschen Bar hab ich auch endlich nachgeschaut: Bar Amelo. So schaut sie im aufgeräumtesten und geputzesten Zustand aus:
Bar Amelo – die „deutsche“ Bar in Sa Rapita
Hab vor zwei Wochen den Bankautomaten unten am Ufer entdeckt, wo ich heute mal 200 Euronen abgeholt habe. Auch wenn das Bezahlen mit der Karte (efectivo o targeta? – bar oder mit Karte? – ist die Standardfrage) praktisch ist, für Alte wie mich geben ein paar Scheine im Geldbeutel mehr Sicherheit.
7. Januar
Bei meinem Morgenritual, nämlich lesend zum Kaffee drei Spekulatius zu verzehren, gab es eine, heute endlich behobene, Unstimmigkeit: Meistens waren die Spekulatius verzehrt, bevor der Kaffee alle war. Umgekehrt ist’s mir auch nicht recht, wenn der Kaffee lauwarm zu werden beginnt und ich noch Spekulatius übrighabe, weil der eigentliche Genuss ja entsteht, wenn ein Schluck Kaffee, nicht zu groß, das Stück Spekulatius im Mund (nur) ein bisschen vorweicht. Heute kam die Erkenntnis: Wenn die abgebissenen Spekulatiusstücke klein genug sind (aber groß genug, um ihr Aroma entfalten zu können, ach, ist das kompliziert), dann gelingt die Parallelführung von Spekulatiusgenuss und Kaffeegenuss ganz mühelos.
Habe beschlossen, heute eine große Rundfahrt durch Tramuntana-Gebirge zu unternehmen: Nach Andratx (nicht Port de Andratx) und von da – immer auf der MA10 – zum Mirador d’en Ricardo Roca, dann nach Estellencs, Banyalbufar, Deìa, Sóller und nach Hause.
Wollte mehr anschauen, aber es kam mir ne Wanderung dazwischen. Erzähl ich nächstes Mal. Jetzt (19:36 Uhr) fehlt mir die Energie dazu. Wenigstens das Tagebuch hochladen, die Bilder dazu und alles rumschicken, das ist mir grade Mühe genug.