9. Dezember

Gestern ist das Thermometer nur bis 14 Grad geklettert, heute ist die Höchsttemperatur 13 °C. Brrrr, der Pelletofen faucht schon, und ich sitze davor. Inzwischen hat sich ein weiteres Ritual herausgestellt: Nach der Datenbankarbeit mach ich mir erst mal einen Kaffee (Instant, hier gibt es nämlich nur eine Kaffeemaschine für diese Fertig-Kapseln; das lehne ich ja schon grundsätzlich ab als wirtschaftlich und ökologisch komplett unsinnig) und setz mich mit 3 Spekulatius und Günther Anders an den Ofen.

Ich hab noch ganz vergessen, unseren 4. Mitbewohner vorzustellen: Odin, ein lustiger, kleiner, schwarzweißer, langbepelzter, langohriger Hunderüde, der mich schon ausreichend ins Herz geschlossen hat, so dass er mir vorhin in der Küche die Beine hochsprang, um gestreichelt zu werden. Wenn er sich freut – etwa wenn’s Gassi ansteht oder Fräulein Olive seinen Futternapf auffüllt –, dann niest er mehrfach vor Begeisterung, und weil er nicht warten kann, dreht er sich um sich selbst, als ob er tanzen würde. Meistens sieht er aus, als würde er grinsen.

 

10. Dezember

Heute wird der kälteste Tag: 7 bis 13 °C. Seit heute Vormittag 9 Uhr läuft der Ofen durch. Im Wohnzimmer hat’s jetzt angenehme 21 Grad; allerdings haben die Steinfliesen gefühlte 0°C. Dabei kam mir Esel erst jetzt die glorreiche Idee, dass ich mir eine Decke unter die Füße legen könnte. Die stecken in meinen Barfuß-Halbschuhen und neigen sehr dazu, sich der Bodentemperatur anzupassen. ☹

Na, egal, Ich habe eine neue Bekannte auf Mallorca, dürfte so ungefähr mein Alter haben, Annegret. Wir haben vorhin länger via WhatsApp sehr angenehm miteinander telefoniert. Morgen holt sie mich um 14 Uhr ab und wir gehen zusammen essen.

Außerdem bringt sie mich um 18 Uhr zum Flughafen, wo ich meinen eben gebuchten Mietwagen abholen werde: ein Hyundai i10, 569 € für 53 Tage. Die Bucherei war allerdings nervig. Bei mir muss ja immer erst was schief gehen. Ich hab dreimal versucht, mit Visa zu bezahlen. Natürlich hab ich die ersten zwei Male an meinem Verstand gezweifelt, beim 3. Mal akribisch jeden eingegebenen Buchstaben und jede Zahl überprüft, aber wieder abgelehnt. Also habe ich bei Check24 um einen Rückruf gebeten (unfassbar, hat keine Minute gedauert, bis der Anruf kam), und der junge Mann hat dann – mit den gleichen Daten – die Buchung ausgeführt. Ich hab ihn gefragt, wieso das bei mir nicht ging, und er meinte, es könne daran liegen, dass der Anbieter in Frankreich sitzt und manche Banken dann die Abbuchung ablehnen; er könne die Bankbestätigung überspringen. Na, wie auch immer, jetzt ist’s gelungen.

Bio-Lebensmittel gibt es hier nur in sehr beschränkten Maß, allerdings war ich noch in keinem richtig großen spanischen Supermarkt. Bei Aldi gibt es dies und das, aber bio ist die Ausnahme. Nachdem ich mich zu Hause die letzten 30 Jahre nahezu ausschließlich „bio“ ernährt habe, taucht das jetzt in mir manchmal als Manko meines hiesigen Aufenthalts auf. Aber was für ein Turbo-Luxus-Problem. Ich würde mal schätzen, 99,999 Prozent der Menschheit ernähren sich nicht bio.

Meine Erkältung bzw. der Gesundungswunsch war stärker als meine Faulheit. Also habe ich eine daumengroße Portion Ingwer gerieben, mit heißem Wasser übergossen und nach ca. zehn Minuten hatte ich Ingwerwasser. Das mit einem kleinen Teelöffel Honig hat sich inzwischen zum   Ritual entwickelt. Ich komme deshalb drauf, das zu erwähnen, weil grade wieder eine Tasse Ingwerwasser neben mit steht – lecker!!! Und nebenan garantiert mir noch eine dreiviertel Teekanne (zum Wärmen unter der Bettdecke) davon einen Genuss für die nächsten eineinhalb Stunden. Manchmal wechsle ich auch mit heißer Zitrone ab, ein ähnlicher Genuss, und tatsächlich bio, weil die Zitronen vom Baum nebenan stammen. Ich habe schon so viel Ingwer- und Zitronenwasser getrunken, dass ich inzwischen ein halbes Glas Honig verbraucht habe.

Vorhin habe ich meine Notizen zu Günther Anders ausgewertet und dabei 7 verschiedene Essaythemen festgehalten, zu denen mich die Lektüre angeregt hat (natürlich erst mal eine ungefähre Formulierung):

– Die Nippes-Maschine – Der Mikrokosmos des Handys verwandelt die Welt in Nippes
– Die Beraubung der Sprache – Massenmedien nehmen uns die persönliche Sprache weg
– Das ist ja nur ein Film – weshalb uns das Leid von Mitmenschen und der Mitwelt so kalt lässt
– Die erfahrungslose Generation – Massenmedien bieten synthetische Erfahrung
– Konstruktivismus versus indigene Perspektive (inkl. Prä-/Transverwechslung)
– Handysucht ist kein Zufall
– Die Produktion des Massenmenschen

Außerdem gab’s noch die Anregung zu einer Erzählung. Mal seh’n, wozu ich komme.

11. Dezember

Erst mal war’s ein ganz normaler Morgen: 5.15 Uhr Aufstehen (je fitter ich bin, desto früher kann ich aufstehen). Und weil ich noch so schön bettwarm war, hab ich mich im kalten Bad gleich unter die heiße Dusche gestellt, schließlich wollte mich Annegret um 14 Uhr abholen, da wollte ich wenigstens frisch geduscht sein.

Also dann das Standardprogramm, erst die Pflicht und dann – zunehmend – die Neigung:

  • Arbeit für die Wissensplattform (https://www.neuer-weg.com/suchen/themen), na ja, ich würde mal sagen, da halten sich Pflicht und Neigung die Waage
  • Lektüre von Günther Anders „Die Antiquiertheit des Menschen“
  • Dostojewskijs „Die Brüder Karamasow“
  • Spanisch (hm, empfinde ich auch ein bisschen als Pflicht, also ebenfalls beides, Pflicht+Neigung)

Zum Glück denk ich noch ans Zirkeltraining und absolviere meine Übungen.

Mit Ausnahme von drei Spekulatius hab ich aufs Frühstück verzichtet, weil ich ja mit Annegret essen gehen wollte. Sie wohnt auf der anderen Seite der Bucht von La Palma, war aber ziemlich genau um zwei Uhr da und hat mir ne WhatsApp geschickt, dass sie vor der Tür steht. Klingeln sind hier nämlich nicht üblich. Wenn der Post- oder Paketbote was will, bumpert er an die Tür. Draußen strahlte die Sonne mit sich um die Wette. Wundervoll.

Wir fuhren dann gemütlich nach Palma, die letzten ca. 20 km auf der Autobahn. Was ich dabei lernte: Mallorca zieht in Sachen Trockensteinmauern mit den Briten und Iren mindestens gleich, kunstvoll aufgeschichtete, ungemörtelte Feldsteinmauern um die Felder und an der Straße entlang (wen’s interessiert: https://www.mallorcamagazin.com/nachrichten/gesellschaft/2017/04/09/53958/ohne-netz-und-doppelten-mortel.html).

Aber wie kann es anders sein: Nähere dich einer Großstadt (416.000 Einwohner) und du siehst, was unsere Zivilisation von Schönheit hält: nämlich gar nichts. Reine Funktion, Supermärkte, Fabrikhallen, Hochhäuser, nackt, kalt, abstoßend, das Herrschaftsgebiet der Grauen Herren. Natürlich war es nicht das, was Annegret mir zeigen wollte, sondern ein kleines Gebiet am Hafen, wo wir ca. 15 Minuten nach einem Parkplatz gesucht haben, dann da herumgeschlendert sind und uns nach einem Restaurant umgeschaut haben, wo wir gemütlich, aber gut essen könnten. Schließlich fanden wir auch eines, ungewöhnlich eingerichtet, eine Mischung aus Fabrikhalle und Wohnzimmer; gemütliche Sessel, in denen man nicht versinkt und hoch genug am Tisch sitzt. Das Allerbeste: Das Essen war fantastisch, das Gläschen Rotwein dazu ebenfalls. Ich habe mich an einen Tintenfisch Medium mit Gemüse gewagt und kann nur sagen: Noch nie so gut Fisch gegessen; das Gemüse dazu war ebenfalls auf den Punkt, und von Annegret kamen noch ein paar Pommes dazu (doof, dass ich den Kassenzettel dort gelassen und mir nicht den Namen gemerkt habe). Danach gingen wir noch in eine Bar auf nen Kaffee bzw. ich auf nen Espresso, der dort Café Solo hieß. Da war’s auch schon kurz vor halb sechs, um sechs Uhr war das Auto abzuholen.

Zum Flughafen brauchten wir ungefähr 15 Minuten. Annegret wusste auch genau, wohin sie fahren musste, fand auch gleich nen Parkplatz und wir gingen zu den Büros der diversen Autovermietungen in der Ankunftshalle. Aber nirgendwo ein Thrifty-Büro (so heißt mein Verleiher). Wir fragen rum um bekommen die Auskunft: gegenüber direkt in dem riesigen Parkhaus (ca. 300 x 300 Meter), wo auch die Mietautos stehen. Also latschen wir die 200 Meter über den Platz (wo wir auch geparkt hatten). Am Eingang des Parkhauses ist auch ein Thrifty-Schild befestigt. Ha, prima, gefunden. Aber drinnen gibt’s ein paar Büros, aber kein Thrifty-Büro. Also fragen wir wieder und erfahren, dass grade alles umgestellt wird und Thrifty jetzt von Hertz mitorganisiert wird. Deren Büro ist unübersehbar. Die Dame findet mich auch gleich in ihrem Computer, alle Unterlagen habe ich dabei, auch die Visakarte. Gute Nachricht: Sie sperren nur 700 € für die Kaution, nicht 1200, wie angekündigt. Ich muss mir nur merken, dass ich 700 € weniger zur Verfügung habe. Nicht vergessen, Bobby!

Sie händigt uns alle Unterlagen aus, unser Auto sei im 1. Stock, es sei allerdings nicht der Hyundai i10, sondern ein etwas größerer, aber zum gleichen Preis. Sie schreibt die Nummer aufs Prospekt: Parking Bay i3C018. Oben sei ein Mann, der mit uns zum Auto gehe und mit uns die bereits vorhandenen Schadstellen checke. Aber im 1. Stock ist weit und breit niemand zu sehen. Also marschieren wir allein los und suchen nach i3C. An den Säulen stehen die Buchstaben und Ziffern. Aber nach G kommt nichts mehr. Wir laufen zweimal hin und her und denken, wir stellen uns nur zu dumm an. 15 Minuten später sind wir so klug als wie zuvor. Zum Glück entdecke ich einen Mann, der in ner Ecke was in seine Unterlagen notiert. Er spricht Englisch und meint, das müsse nicht i, sondern 1 heißen, das sei nur unklar geschrieben. Und zwei Gänge weiter sei die Reihe 13C. Die Nummern stünden auf dem Boden vor der Parkbucht. Nun war’s einfach: ein weißer Opel Corsa. Ich fahr ihn raus ins Ganglicht, damit wir die Schadstellen prüfen können, die uns die Dame als Beleg mitgegeben hat. Das sind mindestens 10 kleine Schäden, meistens Kratzer. Eine ganze Reihe finden wir aber nicht in  unseren Foto-Unterlagen; also fahren wir nochmals runter zum Hertzbüro, sie ruft den Mann per Funkt, der kommt (es ist derselbe, den ich oben angesprochen hatte), und mit ihm kann ich schnell alle Unklarheiten bereinigen.

Den Weg nach draußen zu finden ist für Ortsfremde auch nicht ganz einfach, aber schließlich folge ich einfach dem Schild „Salida“ in der Hoffnung, das werde schon richtig sein. Ich lande vor einer Schranke, aber die hebt sich wie von Geisterhand und ich kann den Anweisungen meines Google-Maps-Fräuleins folgen. Eine halbe Stunde später bin ich zu Hause. Ich weiß nicht, wie viele 100 Tausende von Kilometern ich schon gefahren bin, aber zum ersten Mal in einem fremden Auto in einem fremden Land auf fremden Straßen bei Nacht hat mich doch nicht ganz cool bleiben lassen. Jetzt sind bald eineinhalb Stunden rum, seit ich wieder „zu Hause“ bin, und die Anspannung hat sich langsam verflüchtigt. Noch zwei, drei Gläser heißes Ingwerwasser und mein Bett wird mich liebevoll umarmen. Garantiert.

12. Dezember

Schon seit ungefähr drei Tagen habe ich immer wieder die sehr angenehme Empfindung, von einer freundlichen, warmen Wolke eingehüllt zu sein, sogar, wenn mir kalt ist, besonders natürlich im Bett. Heute Morgen wieder, so dass ich es mir urlaubsmäßig gegönnt habe, ne ganze Stunde dämmrig schlummernd zu „vertrödeln“, am Schluss sogar noch mit einigen freundlichen erotischen Szenen. Huiiii …

Ich hab ich mir mal nicht meinen üblichen Morgen-Kräutertee bereitet, sondern einen klassischen Englischen Schwarzen Tee, sprich mit Milch und ein bisschen Zucker. Hat alte Schottland-Erinnerungen geweckt. Als ich mich damit zur Arbeit hingesetzt habe und meine ersten Schlucke schlürfe, stört mich ein Piepsen von hinten – der Ofen. Hat auf seiner Betriebsanzeige (auch Öfen müssen heutzutage ja elektronisch geregelt werden) stehen: Alarm no acess. Hm … ich schau in die Betriebsanleitung, aber da steht nichts, was ich machen könnte außer einen Techniker rufen. Also mach ich ihn aus und beginne zu arbeiten.

Kleiner Nachtrag zu meiner Mitbewohnerin Fräulein Olive. Vorwiegend äußert sich ihr Putzfimmel als Sauberkeitsfimmel, was Wäsche angeht. Sie wäscht ca. einmal täglich Wäsche, und zwar immer eine ganze Waschmaschinenladung (plus dann eine Trocknerladung).

8 Uhr 54: Der Ofen funktioniert wieder. Aber seine Dysfunktion ist jetzt so eine Art stille Drohung im Rücken.

Heute Abend ist mein Bauch prall voll: Ich hatte mir neulich beim Einkaufen eine runde Kartoffel-Tortilla mitgenommen. Die sah nicht nur lecker aus, sie hat auch so geschmeckt, wie sie aussah, nicht zu viel Ei, genug Zwiebel (stand extra drauf: con sebolla!). Ich hab sie im Ofen heiß gemacht und zu meiner Verblüffung komplett aufgefuttert, ca. 20 Zentimeter im Durchmesser und bestimmt zwei Zentimeter dick.

20.56: Der Ofen brannte bis späten Nachmittag problemlos. Dann hab ich ihn ausgemacht, quasi zu Entlastung, jetzt mag er wieder nicht.

21.30: Nach einer Doppelreinigung durch Herrn Insel und mich funktioniert er jetzt wieder. Hoffentlich auch morgen.