31. Dezember 2024
Es war ein guter Tag; habe lang, rund fünf Stunden, an der Autobiografie geschrieben und bin dann schließlich in die deutsche Bar gegangen (die um 22 Uhr aufgemacht hat), ca. 7 Minuten von hier zu Fuß. Ich bin völlig allein auf den Straßen bis dort, nur ein paar Schmucklichter an den Häusern blinken ins Leere. In der Bar herrscht die Standard-Silvester-Atmosphäre. Die Jüngsten sind wohl um die dreißig, das sind drei oder vier Personen von den rund 50, der Rest ist ü50. Man hat sich uniformiert mit „lustigen“ spitzen Hütchen und seltsamen Glitzerbändern, alles natürlich aus Plastik, die Musik wummert mit massivem Bass, es ist ca. halb zwölf. Ich habe mir zwei (mäßig schmeckende, ich könnte besser) Buletten, ein Brötchen und ein Glas Rotwein bestellt und bezahlte dafür 10 Euro. Ich schau mir das so an, diese programmierte Heiterkeit und irgendwie fühlt es sich eher nach Abschied an. Songs, die gespielt werden, heißen zum Beispiel: „Skandal um Rosie, Skandal im Sperrbezirk“ oder „Sexy – du bist die Waffe, für die es keinen Waffenschein gibt“. Mit Milena hat das beim besten Willen nichts zu tun, obwohl da die Liebe auch ne große Rolle spielt (wo nicht?).
Fünf vor zwölf geh ich runter ans Meer, es sind nur zwei Minuten dorthin. Ich hab mich im Halbdunkel ganz nah ans Wasser rangepirscht; in rund zwei Meter Entfernung blubbert und rauscht und schwappt und schäumt die See, als wäre nichts. Und es ist ja auch nicht mehr geschehen als ein Tag weiter in einer vom Menschen erfundenen Zeitrechnung. Über dem Meer zeichnen sich die Sterne hell und klar in den schwarzen Himmel, über der Stadt, wenn ich mich umdrehe, sind sie blass. Ab und zu zischt ein Böller in die Luft, zerspringt knallend und zerreißt die Trance des Meeres. Aber meistens ist es so still, wie nur die rauschende Natur sein kann. Ich denke an zu Hause, freu mich, dass es das gibt, dass es liebe Menschen gibt, denen ich mich mitteilen darf, mache ein Foto und versende es.
Ich geh zurück in die Bar, wo mich noch ein Drittel meines Weinglases sehnsüchtig erwartet. Im Stehen nippe ich daran; eine blonde, nicht allzu überfröhliche, blonde 60-Jährige fragt mich: „Wer bist denn du?“ und ich antworte: „Ein Fremder.“ Wir wechseln ein paar Worte, sie ist seit 13 Jahren hier, „muss aber immer wieder mal ins Geschäft nach Deutschland, von irgendwas muss man ja leben.“ Dann wendet sie sich wieder ihren „Freunden“ zu und ist , das Sektglas in der Hand, weiter mit Lustigsein beschäftigt. Als ich nach ein paar Minuten gehe, bemerkt sie das gar nicht.
Draußen ist es gleich wieder still. Ich gehe die Straße vom Meer fort nach oben in Richtung Grünanlage. Weit und breit, wie schon beim Herweg, kein Mensch, nur diese Lichter, die vor sich hinblinkend einen befremdlichen Sinn erzeugen. Auf der anderen Seite des Grünstreifens tollen gefühlt sechs kleine Kinder kreischend durch den Vorgarten, ein paar wenige Böller steigen von dort hoch in die Nacht. Dann gehen alle ins Haus und Frieden kehrt ein. Ich freu mich auf mein kleines „zu Hause“, schau kurz in die Messages. Alistair hat ein kurzes Video geschickt. Ich schreibe diesen Tagebucheintrag und sehe, dass Saif mir um 00.59 noch eine liebe kleine Nachricht geschickt hat. Alles sehr friedlich bei mir, klar, gut so. Das „buen año nuevo“ musste ich niemandem wünschen. Dabei hatte ich es extra auswendig gelernt. Jetzt noch ein bisschen Dostojewskij im Bett … Und immer dran denken, Bobby: Dies ist das Silvester des Westens. In der islamischen Welt beginnt das neue Jahr am 27. Juni. In China beginnt das Jahr der Schlange am 29. Januar. Sogar unsere Zeitzählung hat was Kolonialistisches.
1. Januar 2025
Das fühlt sich an wie die erste Seite eines Buches aufschlagen. Nachdem es gestern kurz vor halb zwei war, als ich das Licht ausmachte, hab ich heute früh bis kurz vor acht Uhr geschlafen. Entsprechend hat sich der Tage verschoben. Auch zum Arbeiten bin ich erst eine Dreiviertelstunde gekommen, weil mein Freund Ray angerufen hat und wir eine Stunde per Skype miteinander geplaudert haben. Als wir gerade am Verabschieden waren, hat Inge nahtlos angerufen.
Und jetzt hab ich mir ein seltsames Frühstück gemacht: Neben mir steht ein kleiner Teller mit Mandeln und getrockneten Bananenstückchen, rechts von mir eine große Tasse von dem gestern Nacht übriggebliebenen Punsch, den ich mir nochmals heiß gemacht habe. Beides hätte ich in Würzburg nie gemacht. Inge hätte mich für verrückt erklärt (und ich hätte ihr zugestimmt). Sollte ich nach der Tasse Punsch müde werden – was soll’s, dann lege ich mich eben hin. Aber jetzt an die Arbeit, Herr Langer!
2. Januar 2025
Heute hatte ich den reinsten Fastfood-Tag: Morgens gab’s ein großes Müsli und nachmittags fertige Spinat-Tortilla, von der ich immer noch, jetzt um 21.10 Uhr, proppenvoll bin.
Es gibt so allerlei Arbeiten, die zum Jahreswechsel anfallen (neue E-Mail-Verzeichnisse, Wandel-Newsletter fertig machen und verschicken, neuen NL im Netz anlegen, generell ein wenig aufräumen, Arbeitstabellen archivieren (meine und die für den Neuen Weg), Mails löschen (eben erst wieder 1851 = 251MB). Ab und zu hab ich die Sorge, dass mir Thunderbird in die Knie geht, wenn ich nicht lösche. Kann ja nicht nur immer voller werden.
Außerdem stand heute noch eine wichtige Arbeit an, die „eigentlich“ schon Ende November fertig sein sollte, die ich aber auf Januar verschieben konnte. Heute wollte ich nicht länger damit warten: ein kleiner PR-Auftrag, 3 Text für die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nuertingen-Geislingen. Hab ich schon länger nicht mehr gemacht, ist auch nicht einfach aus dem Ärmel zu schütteln, aber ein kleiner Ausgleichsbetrag für meine Ausgaben hier.
Und ich muss gestehen, dass ich in den letzten drei Tage geradezu unmäßig Dostojewskij verschlungen habe. Das ist über 200 Seiten weg der reinste Showdown. Grade bin ich auf Seite 1125 angelangt. Die letzte Seite ist die 1240.
Ich hab mir überlegt, mal ein bisschen Sightseeing zu machen. Womöglich gibt’s hier Dinge, die mich WIRKLICH interessieren. Die Kathedrale hab ich ja schon „in action“ gesehen.
So, jetzt will ich nur noch diese Tagebuch-Aussendung machen und dann geh ich schlafen.
ja lieber Bobby, so ist es -wie von dir beschrieben- in sehr vielen Orten auf Mallorca; überall gibt es kleine dtsch. Gruppen, in einem größeren Ort ist sogar eine dtsch. Bügermeisterin,
Insgesamt war es doch für dich, denke ich, sehr angenehm. JA deine Bermerkung über die div. Neujahrsanfänge finde ich sehr wichtig, ich habe das 1992 in Nepal -ich war da
4 Monate- gelern, beim Rückflug -eine Freundin hatte bei Ankunft Geburtstag- brachte ich ihr die aktuelle Tageszeitung aus Nepal mit : Datum 13. Sept. 2554, hier wird nach Buddha
gerechnet; ob heute noch so? I don´t know.
Zu besichtigen gibt es immer noch viel; du warst anscheinend noch nicht in der 12 Km entfernten sehr schönen Cala Pi, der Ort ist nichts, der Turm über dem Meer am Eingang
der Bucht ist interessant und die Bucht selbst, dahin führen ca 90 Stufen.
Viel positive Entwicklung weiterhin.
lg und Umarmung
Ja klar, zu besichtigen gibt es noch viel. Nur bin ich nicht zum Besichtigen hier hergekommen. Ein allgemeiner Eindruck Mallorcas ist mir wichtiger als 1000 Details. Die allgegenwärtigen wilden Oliven erscheinen mir mindestens ebenso wichtig wie die Kathedrale. Beispielsweise fehlt mir noch eine Klippenwanderung.
Ja klar gibt es hier viele Besichtigungsmöglichkeiten. Interessant ist mir vor allem aber, was mein Bild/Eindruck von Mallorca erweitert bzw. verändert. Ansonsten sind mir die allgegenwärtigen wilden Oliven wichtiger als irgendein Turm irgendwo auf der Insel. Und die Sonne, die hier mit einer erstaunlichen Dickköpfigkeit immer wieder den Kampf gegen die Wolken gewinnt, wenigstens hier im Süden der Insel. Im Norden ist es wegen er Berge wohl anders.
Was ich nicht zusammenbringe ist dein Ausdruck vom „sehr schönen Cala Pi“ und „der Ort ist nichts“.