17. Januar 2025
Eben bin ich von einem kleinen Ausflug heimgekehrt. Es ist 13:39 Uhr, an sich Zeit für ein Mittagsschläfchen, aber das muss jetzt erst mal auf mich warten. Ich hatte nach der Morgenroutine (Arbeit + Literatur + Theorie) mit Inge ein Gespräch auf WhatsApp. Morgens war hier Novemberwetter, so sehr, dass ich mich angesichts der schwer fallenden Tropfen vor dem Fenster fragte, ob das nicht Schneeregen sei. War es aber nicht. Bei acht Grad! Jedenfalls hatte ich nicht mehr aufs Wetter geachtet. Als mich Inge dann fragte, ob das Sonne sei im Hintergrund, drehte ich mich um und tatsächlich strahlte die Sonne draußen mit sich selbst um die Wette. Das war doch eigentlich die Gelegenheit, mit zum Lesen in die Sonne zu setzen. Ich hab Klappstuhl und Buch auf den Gehsteig rübergetragen und mich in die Sonne gesetzt, allerdings nur für fünf Minuten; denn es war so zugig, dass der Wind mich mehr auskühlte, als dass die Sonne mich erwärmte. Also die ganze Geschichte retour. Aber jetzt gar keine Sonne, sondern nur wieder Wohnzimmerschatten und Ofengebläse? Hab mir meinen Schal umgebunden, die Regenjacke übergezogen und Vokabelzettel eingesteckt und hab meine große Runde angetreten. Den „Esch“ habe ich in meine Umhängetasche gesteckt, dafür ist er klein genug. Auf dreivierteltem Weg war dann das Restaurant „Forn Sa Rapita“ („forn“ Katalanisch für „Bäckerei“), an das ich zu Hause schon gedacht hatte. Seltsam, dass mir dieses Genuss erst heute eingefallen ist: Mich ins Café setzen und gemütlich schmökern. Heute also hab ich’s getan. Ein leckerer Croissant plus eine Tasse Kaffee haben 3,25 € gekostet.
Ich sitze damit direkt am Fenster, links von mir ist das Meer zwischen mir und der Sonne von Millionen Silberschuppen bedeckt, weiter rechts erstreckt es sich graugrünblau zum Horizont, lockerer Barmusik-Jazz läuft im Hintergrund. Vor mir am Nebentisch sitzt ein dickes, deutsches Ehepaar, jeder studiert sein Handy. Weiter rechts hat ein Greis – spontan denke ich: 88 – an einem Tisch Platz genommen. Seine blaue Schildmütze liegt vor ihm auf dem Tisch, dessen Platte zu hoch für ihn ist, so klein ist der alte Mann zusammengeschrumpft. Er muss sich kaum bücken, um seinen Mund zum Teller zu führen, wo ein Stück Kuchen liegt, von dem er gierig abbeißt. Das bringt mich auf die Idee eines „Nachtischs“. Also gehe ich zur üppigen Kuchentheke, wo mich eine noch ungeschnittene, flache Mandeltorte anlacht. Un trozo de esta tarta, por favor, ein Stück von dieser Torte, bitte. Und einen zweiten Kaffee. So liest sich’s doch doppelt gut.
Gestern Abend bin gegen halb acht ein weiteres Mal in Richtung Santanyi aufgebrochen. Heute ist nämlich Sant-Antoni-Fest, also haben gestern Abend die Sant-Antoni-Feuer überall auf Mallorca gebrannt. Die Fußgängerzone von Santanyi und eine weitere Straße neben der Kirche war mit mehreren, ca. 1,20 m x 1,20 m großen Grills bestückt, die gegen 8 Uhr, als ich hinkam, schon ordentlich Glut hatten. Bis ich mich ein bisschen umgesehen hatte, füllten sich die Straßen, nicht allzu sehr, aber doch angenehm belebt, ausnahmsweise mehr Mallorkiner als Deutsche. Viele hatten Fleischstücke und Würste mitgebracht, um sie auf diesen Grills zu braten und auch zu teilen.
Von den Teufeln, die angeblich zu diesem Fest ihren Schabernack in den Straßen treiben, war nichts zu sehen. Stattdessen tauchte eine Spieler- und Tänzergruppe auf. Die Musik klang sehr schottisch mit Dudelsack (der in der hiesigen Form Xeremia heißt [das X spricht mal als Ch], Pfeifen und Trommeln. Ein ziemlich original klingender Beitrag [1:40] ist hier zu hören/sehen: XEREMIERS DE MALLORCA-Sant Antoni. Die vier Tänzer waren mit braunen, eher bärig als teuflisch wirkenden Umhängen verkleidet und tanzten mit dicken, langen Holzstangen in der Hand. Direkt vor dem Rathauseingang (aber auch an anderen Stellen) wurde Rotwein kostenlos verteilt, vorsichtshalber in Kleinstportionen von vielleicht 0,05 l-Kunststoffgläschen. Davon hab ich dann im Laufe der Zeit auch zwei getrunken.
Es machte Spaß, an den heißen Grills zu stehen, sich durchwärmen zu lassen, den Leuten beim Schmausen zuzuschauen und die sehr entspannte Feststimmung zu genießen. An einem der Grills stellte sich ein kräftig grillender Mann als Deutscher heraus, ein freundlicher, Mallorca-begeisterter Bauunternehmer. „Nimm dir, was du magst“, sagte er, „wir können da gar nicht essen.“ Er erzählte mir, dass die Bedingungen für ihn auf Mallorca ungleich besser sind als in Deutschland: „Du musst auf kein Amt, um einen Bauantrag zu stellen, geht alles ganz locker online. Und oft hast du schon zwei Tage später die Genehmigung oder eine Antworte, dass noch dieses oder jenes für die Genehmigung gebraucht wird. Da werden einem keine Knüppel zwischen die Beine geworfen wie in Deutschland, wo so was Wochen dauern kann.“ Kurz nach zehn Uhr war ich dann wieder zu Hause.
21. Januar
Letzten Sonntag wollte ich mit Annegret auf einen großen Flohmarkt fahren (heißt witzigerweise „el rasto“), aber das Wetter war nieselig novembrig, also haben wir’s auf kommenden Sonntag verschoben.
Es gibt hier im Haus eine interessante Situation des Zusammenlebens, die es natürlich überall gibt, nur ist sie mir hier besonders aufgefallen. Manchmal sitze ich im Wohnzimmer auf dem Sofa zum Lesen. Wenn dann einer meiner Mitbewohner in die Küche geht, muss er/sie an mir vorbei. Irgendwie ergibt sich dann scheinbar die Notwendigkeit einer Mini-Kommunikation. Aber einander in der gemeinsamen Wohnung „Hallo“ zu sagen, ist affig. Also gibt es nur zwei Alternativen: Man sagt irgendwas Belangloses wie „Guten Appetit“ oder man sagt gar nichts, was aber eigentlich nur durch Vermeidung des Blickkontakts mühelos funktioniert. Geschieht so ein Blickkontakt trotzdem und man mag grade gar nichts sagen, dann lächelt man sich wenigstens zu. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man jemandem in einer einsamen Landschaft begegnet. Aber vielleicht ist unsere Wohnung ja eine einsame Landschaft.
Ich merke, wie mir hier allmählich der Stoff ausgeht. Ich mag ja nicht immer herumfahren, also mach ich meine Arbeit, lese und schreibe. Wahrscheinlich werde ich 90 Prozent der mitgenommenen Lektüren tatsächlich gelesen haben. Grade bin ich über dem wunderbaren Roman von James Baldwin „Giovannis Zimmer“. Kann ich alles, die gerne Gutes lesen, sehr empfehlen: https://de.wikipedia.org/wiki/Giovannis_Zimmer
Bei dem Romanprojekt komm ich erfreulicherweise besser voran als erhofft, so dass es vielleicht schon nächstes Jahr fertig wird (zumal mindestens weitere 20 angedacht sind, also weit über meinen Tod hinaus 😊).
Morgen habe ich einen großen Ausflug geplant. Da gibt’s sicher fantastische Bilder.
Ach, schade, dass es schon wieder zuende ist – deine bildhaften Erzählungen lassen mich physisch anwesend sein. Deine Tagebucheinträge sind wahre Schätze – ich sehe gerade das Bild vor mir – Goethes Wanderschaft – allerdings bevorzuge ich Deinen Schreibstil.. Stürze Dich (nein,nein – ganz gemächlich) mit diesem Kompliment ins nächste Abenteuer, das das Leben Dir dort bietet – fang alles Schöne ein.
Pasalo bien y disfruta el tiempo,
Anke
Ja, schade. Andererseits ist es auch schön zu wissen, dass man gerne zu Hause erwartet wird. Und dass es ein Zuhause gibt!