29. Dezember

Ist Technik erst einmal da, wird sie zur Versuchung, übernimmt einen Teil der Seele, zumindest versucht sie das. Das Auto vor der Tür ist so eine „Versuchung“. Eben wurde mir wieder bewusst, dass ich jetzt zwar genug Schwarzen Tee in Beuteln zur Verfügung habe, aber keine Milch, um ihn als „Englischen Tee“ trinkbar zu machen. Und schon flüstert mir die Versuchung zu: Komm, Bobby, wegen der einen Flasche Milch musst du jetzt nicht so viel Zeit vertun, die du für deinen Roman viel sinnvoller investierst. Mit dem Auto bist du in fünf Minuten wieder da, zu Fuß in 15 Minuten. Außerdem musst du dir fürs Auto keinen extra Pullover anziehen, da hast du nochmals Zeit gespart. Und: Du weißt ja gar nicht ganz genau, ob der Spar-Laden heute wirklich offen hat, wie du vermutest. Dann hast du die 15 Minuten endgültig zum Fenster hinausgeworfen.“ Inzwischen habe ich geantwortet: „Wenn ich zu Fuß gehe, kann ich die strahlende Sonne genießen und in Ruhe aufs Meer schauen. Und verpeste nicht die Welt. Falls der Laden zuhaben sollte, dann setze ich noch eins drauf und mache den großen Spaziergang. Der wird mir bestimmt guttun.“ Also hab ich mir einen Pulli unter die Jacke gezogen und bin losmarschiert – mit Erfolg, sprich mit Milch zurück.

Nachmittags und abends langes, produktives Schreiben. Um Viertel nach sechs beschließe ich, jetzt endlich meinen fränkischen Kartoffelsalat zu machen (Kartoffelstücken meiner übrigen, abgekochten Kartoffeln, 3 klein gemachte hartgekochte Eier, ein paar klein geschnippelte saure Gurken, Essig, Öl und etwas Gemüsebrühe), schmeckte schon ganz okay, aber etwas Entscheidendes fehlte noch. Hmm … ah ja, fein geschnittene Zwiebel. Jetzt steht die kleine Schüssel am Ofen, denn eiskalt aus der Küche schmeckt er nicht so gut, finde ich; da kann ich noch ein Weilchen weiterschreiben.

30. Dezember

Wenn ich ein Professor wäre, dann der typisch vergessliche. Meine Schüler im Bayerischen Wald hatten das schon bald raus und haben mir zum 1. April folgenden Streich gespielt – unvergesslich. Es war früh am Morgen, die erste Stunde. Ich kam ins Klassenzimmer und alle Schüler saßen vor aufgeräumten Plätzen, hatten nur ihr Federmäppchen auf dem Tisch und schauten mich erwartungsvoll an. Das bemerkte ich natürlich erst, als ich meine Tasche auf den Stuhl am Lehrerpult gestellt hatte und meine Sachen rausnahm. Ich fragte: „Was ist denn los. Warum seid ihr so still?“ „Na“, kam die Antwort, „wir haben jetzt doch Englisch-Schulaufgabe“ [heißt anderswo Klassenarbeit]. Es lief mir heiß und kalt den Rücken runter. Ich versuchte mich zu erinnern, aber da war nichts, woran ich mich erinnern konnte. Ich war richtig verzweifelt, dass mir so ein Fehler unterlaufen konnte. „Oh“, stotterte ich, „das habe ich doch glatt vergessen. Irgendwie übersehen. Tut mir leid.“ Da konnten sie nicht mehr an sich halten und lachten los. Ihre Behauptung stimmte gar nicht. Sie hatten auf meine Vergesslichkeit gesetzt und voll ins Schwarze getroffen.
Warum ich das erzähle? Weil ich mal wieder was verloren habe, und zwar das Brillenetui für meine Unterwegs-Brille (ich nämlich zwei, die zweite ist die Computerbrille). Freilich, wenn die Brille verloren wäre, wär’s viel schlimmer. Ich vermutete heute früh, dass ich sie gestern im Spar liegengelassen habe. Also bin ich heute früh nach der Arbeit hinmarschiert, aber leider Fehlanzeige. Muss ich wohl abschreiben.

Draußen war es so schön, dass ich spontan beschloss, nach Sant Elm zu fahren, um von dort aus nach La Trapa zu wandern. Peter aus der Schweiz (der deshalb bei mir schriftlich Petrrr heißt) hatte sie mir als sehr schön beschrieben. Das war sie auch, nur die Geier, die er dort gesehen hat, kamen mich nicht besuchen. Der Hinweg war ausgesprochen gemütlich in wunderschöner Umgebung, eine breite steinige bis geröllige Straße (befahrbar für Jeeps) wand sich in langen Serpentinen langsam nach oben.

Gemütlicher Weg nach oben.

Obwohl das (nicht mehr vorhandene Kloster) La Trapa wohl ein Touristenmagnet für Wanderer sein soll, hielten sich die Begegnungen in Grenzen. Auf dem Hinweg (ca. 5 km) kamen mir ungefähr 20 Leute entgegen, ausnahmslos Deutsche. Mit einem jungen Paar habe ich ein bisschen geplaudert. Der Anlass war ein lautes, klägliches Ziegengemecker, das ich auch schon eine Weile gehört hatte. Da, wo die beiden standen, konnte man die Tiere sehen´. Es war eine große, weiße Ziege und zwei kleinere im Gebüsch. Die Rufe kamen wohl von der Mutter, die die Kleinen zu sich rief. Das junge Pärchen meinte, es lohne sich unbedingt, bis La Trapa zu gehen. Sie würden mir allerdings dringend davon abraten, den kürzeren Weg zurück zu nehmen. Sie seien ihn auf dem Hinweg gegangen und es sei manchmal mehr Klettern als Wandern gewesen. Abwärts wäre das wohl ziemlich gefährlich, weshalb sie jetzt auch den Fahrweg genommen hätten. Ich hatte unterwegs schon das Schild gesehen, bei dieser Weg abzweigte, war aber dann doch lieber den von Google Maps angezeigten gegangen, weil ich der Wegmarkierung des anderen Wegs nicht getraut habe. Die Story der beiden klang interessant. Schwieriger Weg, aber machbar. Hmmm, ich war noch unentschieden. Mal sehn.

Blick auf den Mirador Sa Trapa.

Blick auf Dragonera mit meinem tschechischen Gesprächspartner

Um nach La Trapa zu gelangen, musste ich erst einen Bergkamm überqueren, anschließend ging’s wieder rund 200 Meter runter. Die Aussicht war wirklich wunderschön, eine Plattform hoch über dem Meer mit Blick auf die vorgelagerte Felsinsel Sa Dragonera. (übrigens war das wirklich lange eine Pirateninsel; es gibt dort eine Süßwasserquelle). Außer mir waren noch zwei Wanderer da, bei so um die 30. Einer, der mit einer Wanderrucksack gekommen war, war ein gut deutschsprechender Tscheche (der andere, ja was wohl: genau, ein Deutscher). Er erzählte mir, er sei den kürzeren Weg hochgekommen, und wirklich gefährlich sei der nicht, man können ihn locker gehen; für mich ohne Rucksack – kein Problem. Damit war die Entscheidung gefallen. Und die war gut. Denn dieser Weg war wirklich traumhaft angelegt, wirklich nur ein Pfad und mit Ausnahme des letzten Fünftels immer am meerseitigen Hang mit Blick auf Dragonera und in der Sonne. Ich würde mal sagen: Wenn man die Beschreibung des deutschen Pärchens und die des tschechischen Wanderers addiert und durch Zwei teilt, hat man eine ganz gute Beschreibung. Es gab wirklich Passagen, bei denen ich mich auf alle Viere begeben musste, um sicher runter zu kommen. Diese Passagen waren aber nicht wirklich gefährlich (an etlichen Stellen waren auch Ketten zum Festhalten angebracht), sondern hauptsächlich anstrengend.

Der Rückweg barg manche Herausforderung.

Aber das betrug maximal zehn Prozent des (gut mit Pfosten ausgeschilderten) Wegs. Kann ich jedem empfehlen, der eine gewisse Anstrengungsbereitschaft mitbringt. Schöner ist schwierig.
In Sant Elm wäre beinahe noch der Verführung eines gut besuchten Restaurants am Meer mit untergehender Sonne erlegen. Aber nur beinahe.

Sonnenuntergang bei Sant Elm