13. Januar 2025
Eben habe ich bei David Abram, der sich viel mit indigenem Denken und Wissen beschäftigt, einen wunderbaren Ausdruck für alle Pflanzen gelesen, den ich festhalten möchte, damit er nicht ins Vergessen sinkt: die „wurzeltreibenden Leute“. Und erst jetzt, nach ungefähr 50 Jahren, verstehe ich aus diesem Begriff heraus, weshalb Indianer sich scheuten, einen breiten Pfad auszutreten, denn in einer hochverdichteten Erde war kein Platz mehr für die wurzeltreibenden Leute. Eine der wenigen Pflanzen, die mit einer solchen Erde zurechtkommt, der Wegerich, hieß deshalb auch „Fuß des weißen Mannes“.
Der Wunsch ist der Vater des Gedankens – und damit letztlich des Verhaltens. Es gibt in meinem Wandregal, wo meine Kleidungsstücke teilweise liegen, ein Scham-Fach. Ich schau da nicht gerne hin. Warum? Weil da drei Hemden liegen, die ich noch nicht angehabt habe und mir wohl auch nicht anziehen werde. Sie sind für die hiesigen Temperaturen vollkommen ungeeignet, entweder sehr dünn oder Kurzarmhemden. Das Beschämende daran: Innerhalb von wenigen Minuten hätte ich ja wissen können, mit welchen Temperaturen und welchem Wetter hier zu rechnen ist. Aber nein, ich hab’s mir nur so ungefähr angeschaut und mir eine Art Glaubens-Grauzone offengelassen. Ich wollte meinen Glauben, dass es hier wärmer ist, nicht von den Fakten erschüttern lassen. Peinlich. Inzwischen musste ich mein Glaubensgebäude zwangsläufig renovieren und freue mich, wenn es in der Sonne 20 Grad hat und ich im Pullover ohne Jacke im Freien sitzen kann.
Gestern EG (nein, das heißt nicht Erdgeschoss, sondern ist eine Namensabkürzung) im Palma getroffen. (Hier bin ich bei einem ungewohnten, deutschen November-Piesel-Wetter weggefahren, in Palma hat dann schon wieder die Sonne geschienen.) Es war ein langes, gutes, teils auch überraschendes Gespräch, eine eigenartige Kombination aus überraschender Intimität und ernüchternder Sachlichkeit.
Später war ich mit Annegret im Miro Museum, erstaunt über die vielen Originale, die dort hängen. Und erfreut über das Befremden, das sich bei vielen, wenn nicht gar den meisten seiner Bilder einstellt (mit Ausnahme der bunten Spielereien). Interessant, aufschlussreich seine Aussage: „Die Malerei befindet sich seit dem Höhlenzeitalter auf dem Niedergang.“ Auch aus Wikipedia: „Dalí bezeichnete Mirós Malerei als ‚zu grandios für die dumme Welt unserer Künstler und Intellektuellen.‘ Er stellte ihn als einen Erneuerer der Kunst dar, der nur mit Picasso vergleichbar sei; für ihn verkörpere er die ‚Osmose zwischen Surrealismus und Realität, grenzenlos geheimnisvoll, dazu fähig, uns mit der lebendigsten Intensität ferner und ergreifend magischer Schöpfungen in den Bann zu ziehen.‘“ Stimmt, mnachmal.
Abends bei nächtlicher, gemütlicher Heimfahrt ein großer weißgelber, scharf umrissener Vollmond die ganze Zeit mein Begleiter, meist halb links von mir im nahezu wolkenlosen Himmel.
15. Januar 2025
Heute ist der bislang kälteste Tag. Heute Morgen hatte es 4 Grad. Immerhin hatte das Wohnzimmer noch 17 Grad. Jetzt, nach zwei Stunden heizen sind’s schon 19,3 Grad. Ich hatte eine witzige Verbesserungsidee zum Warmhalten meiner Teekanne: Ich hab ich meine Kappe aufgesetzt, bevor sie unter die Bettdecke kam.
Heute große Wäsche angesetzt inkl. Bettlaken.
Vormittags beim Lesen von Hermann Brochs „Esch oder die Anarchie“ zum Kaffee die letzten zwei Spekulatius verspeist. ☹
Meine Lese-Session ist heute im wahrsten Sinne des Wortes sprunghaft, seit einer Stunde lese ich in Hermann Broch und David Abram, nur um alle fünf Minuten aufzuspringen und einen eigenen Gedanken festzuhalten, sei es fürs Romanprojekt, sei es für einen Essay mit dem Arbeitstitel: „Über den Erfolg des Buddhismus in Europa“. Es ist also eine Art inneres Hin- und Hereilen, das erst dann endet, als ich die Lektüre beende und mich dem Profanen zuwende, nämlich dem Wäschetrockner zuwende. Heute hatte ich nämlich großen Waschtag, den ich jetzt abschließe, indem ich meine Wäsche dem Trockner entnehme, zusammenlege und aufräume. An dieser Stelle ist auch ein Geständnis fällig: Meine ursprüngliche Absicht, mich derart moslemisch rein zu halten, dass ich keine Unterhosen brauche, habe ich sowohl konsequent eingehalten als auch verleugnet; eingehalten in der Weise, dass ich tatsächlich hätte ohne gehen können, verleugnet insofern, als ich um jede zusätzliche Kleidungsschicht froh bin.
16. Januar 2025
Unfassbar, wie tief Gewohnheiten eingeschliffen sind, so tief, dass wir sie keinen Augenblick in Frage stellen. Ich dusche hier alle vier Tage, denn spätestens am vierten Tag schaut mir aus dem Spiegel eine Art Landstreicher entgegen, vor allem dann auch noch morgens, wenn man, frisch aus der Koje, ohnehin verwildert ausschaut. Nun hat es aber im Bad zu dieser Zeit selten mehr als 16, 17 Grad. Das ist unangenehm, aber wenn ich mich entsprechend heiß dusche, dann hört das Bibbern schnell auf, denn das Bad ist dann in warmen Dunst getaucht.
Heute kam mir die Erleuchtung: „Bobby, du musst nicht morgens duschen, wenn es am kältesten ist, du kannst auch nachts duschen, wenn es in der Wohnung am wärmsten ist.“ Eine banale Lösung, nicht wahr! Aber ich habe die letzten Jahrzehnte IMMER morgens geduscht! Eben, sag ich doch, eine tief eingeschliffene Gewohnheit.
Apropos Gewohnheiten: Nachdem ich seit meiner Studentenzeit nicht mehr allein gewohnt habe, fiel es mir hier ausgesprochen schwer, angemessen für meinen Hunger einzukaufen. Seit zehn Tagen hatte ich eine Packung Karotten im Kühlschrank, weil ich mir beim Kauf eingebildet hatte: Das gibt ein Karottengemüse zum Reis. Heute hab ich mit Bedenken die Möhren in die Hand genommen, aber sie waren noch okay, so dass ich heute Nachmittag ein Karottengemüse mit Reis gemuffelt habe. Und hat mir so gut geschmeckt wie erhofft (die Karotten in Butter gedünstet).
Heute kam Frau Olive aus Deutschland zurück – mit einer molligen Winterjacke. Ich hab sie ein wenig beneidet. Aber mit Unterhemd+T-Shirt+Hemd+Pullover friere ich ja auch nicht. 😊
ein ganz normaler Alltag. Bin gespannt auf Buddhismus in Europa. glg
Darauf bin ich auch gespannt.
lieber Bobby, ich amüsiere mich sehr beim Lesen Deiner Tagebuch-Geschichten. Ich schicke dir meine Herzenswärme zum Aufwärmen ♥️
Sehr schön, ich versuche, das Menschliche drin zu halten und nicht auszuklammern. Das wird dann halt manchmal lustig.