5. Februar
Am Abend und in der Nacht bemerkte ich, dass ich mir bei meinem Sturz am Wasserfall die rechte Schulter geprellt hatte, so dass Aufwärtsbewegungen mit dem rechten Arm schmerzhaft waren. Immer, wenn ich mich nachts umdrehen wollte, weckte mich die Schulter, bis ich mich neu „eingerichtet“ hatte. Am frühen Morgen konzertieren die Kühe mit den Brüllaffen; im gesanglichen Vordergrund, grob und heiser, die Kühe, im Hintergrund das gedämpfte Röhren der Affen. Nur ein paar Hähne bohren sich mit spitzem, chaotischem Kikeriki in das Konzert.
Nach einem wie gewohnt exzellenten Frühstück verlassen wir die Albergue el Socorro. Ila reibt mir die Schulter noch fürsorglich mit Voltaren ein. José, unser Hausherr, ist ganz gerührt, als wir uns verabschieden. Wir haben uns prächtig mit ihm verstanden, er ist ungefähr sechzig Jahre alt, hat graues, kurzgeschnittenes Haar und einen gepflegten, grauen Vollbart, ist ein drahtiger Kleinbauer, der so gut wie kein Wort Englisch, dafür aber ein ruhiges, gepflegtes Spanisch spricht, von dem man doch einiges verstehen konnte. Er ist wirklich ein seltenes Exemplar von einem Menschen, überaus zuvorkommend, heiter und humorvoll. Er geht mit uns bis zum Auto und bittet uns noch um ein Gruppenfoto.
Auf den Weg hierher benutzen wir auf Gepas Handy ein Navi namens Waze, nach übereinstimmender Meinung DAS Navi für Lateinamerika. Funktioniert auch ausgezeichnet inkl. deutscher Anleitungen.
Es ist 15.30 Uhr. (Während ich hier schreibe, ist Uru schon auf einer Regenwaldtour in der Hoffnung auf weitere Foto-Beute.)
Ich sitze auf einer Holzbolen-Veranda an einem kleinen, runden, hübsch mit Kolibri-, Blumen- und Bergmotiven eingravierten Holztischchen und wundere mich. Vor mir, am Rand der Veranda, ein bauchhohes, dunkelbraunes Geländer, jenseits davon geht es ca. zehn Meter in die Tiefe auf den Dschungelboden. Vor mir dicht belaubte dunkelgrüne Baumkronen, im Hintergrund eine Wand aus 30 Meter hohem Regenwald, vor dem eben ein Geier in unsere Richtung schwebt. Rechts von mir ein niedriges, achteckiges Geländer, durch das ein Baum (Durchmesser ca. 35 cm) nach oben wächst und das Dach an einer eigens für ihn gefertigten Holzfassung durchstößt; links von mir beinahe dasselbe, nur ist der Baum ein paar Zentimeter dicker und hat einen dicken, sich doppelt verzweigenden Seitenast, aus dem grüne Triebe sprießen. Rechts, hinter dem ersten Baum steht auf einer Verbreiterung der Veranda eine große, tiefe fünfeckige Freiluftbadewanne, vermutlich als Jacuzzi gedacht, denn in ihre Seiten sind Sprudeldüsen eingelassen. Ich befinde mich in einem Baumhaus der Maquenque [sprich Makenke] Eco Lodge, einem tollen Projekt ganz im Norden von Costa Rica im tiefen Regenwald gelegen. Neben einem Haus mit Rezeption und Restaurant besteht es aus zehn freistehenden Bungalows um eine Lagune und acht Baumhäusern; erreichbar ist Maquenque nur mit dem Boot, das uns über den breiten Rio San Carlos übersetzt.
Ich wundere mich, wie perfekt die Infrastruktur funktioniert. Wir sind mit dem Auto bis vor den Bootsanleger gefahren, wo wir unser Gepäck ausladen können. Dann fährt Gepa das Auto zurück auf einen ca. 200 m zurückliegenden Parkplatz, während wir mit einem Funkgerät an der Rezeption Bescheid sagen, dass wir angekommen sind. Eine kleine Fähre (für ca. 18 Personen) legt ab und holt uns ab. Das Personal hievt unsere Koffer an Bord, dann kommt ein junger Mann mit einer Liste zu uns, auf der wir verzeichnet sind und ich hake uns vier ab. 30 Meter später, auf der anderen Flussseite, wartet schon Personal, um unsere Koffer aus dem Boot zu heben. Das Gepäck wird von einem kleinen E-Mobil zur ca. 300 Meter im Wald liegenden Rezeption gefahren. Auch dort ist man auf uns vorbereitet (alles hier spricht Englisch). Es ist noch ziemlich früh, gegen elf Uhr. Die Baumhäuser sind ab 15 Uhr bezugsfertig. Uru und ich machen eine kleine Wanderung durchs umfangreiche Lodgegelände, Ila und Gepa gehen in den Pool, um sich abzukühlen. Um halb zwei treffen wir uns im Restaurant zum Mittagessen (ich esse einen kleinen Salat mit ein paar Hühnchenstreifen), anschließend holen wir uns unsere Schlüssel, eine Taschenlampe und ein Funkgerät in der Rezeption ab. In der Zwischenzeit wurde unser Gepäck (mit den Namen unserer zwei Baumhäuser markiert) schon „aufs Zimmer“ gebracht. Mit dem Funkgerät können wir untereinander kommunizieren, aber auch mit der Rezeption.
Das Baumhaus-Zimmer ist luxuriös eingerichtet mit massiven Brettern, acht Meter lang und ca. fünf Meter breit. Auf beiden Zimmerseiten stehen große, tiefe, offene Kleiderschränke (natürlich, wie alles sonst) aus Holz. An der flach spitz zulaufendenden, ca. 3,50 m hohen Holzdecke hängen drei schräg gegeneinander versetzte Kugellampen, jeweils unter einem fein gearbeiteten Gußeisenschirmchen; über den Betten (es sind zwei Doppelbetten) hängt jeweils noch einmal eine solche Lampe, ebenso jeweils eine als Nachttischlämpchen neben den Betten. Vor die unverglasten, mit Holzleisten gegliederten großen Fenster ist ein massives Moskitogitter gespannt. Außer der (wie die Fenster gearbeiteten) Holztür gibt es eine zweite, eine Schiebetür, die direkt zum Jacuzzi führt. Auf dieser Seite befindet sich auch das Bad mit Toilette und Dusche. Über zwei großen Natursteinwaschbecken hängt ein breiter, hoher Spiegel, dessen Vollholzfassung oben und unten ein wenig walldorfmäßig wirkt. Der Badetür gegenüber, also auf der anderen Zimmerseite, befindet sich rechts vom Kleiderschrank ein hohes, offenes Holzregal mit vier weißen Kaffeegeschirren, daneben der Kühlschrank, darüber ein Regalbrett mit Obst, einer Packung Kaffee und einer Kaffeemaschine, über dem Obst hängen, von unten nach oben, vier Weingläser in einer Halterung. Eins nehme ich mir raus uns schenke mir zur Feier des Tages – was für ein Luxus! – ein Achtele Chardonnay ein. Denn im Kühlschrank wartete eine kleine Flasche davon auf uns, außerdem eine kleine und eine große Flasche Cabernet Sauvignon. Dazu je zwei Dosen Limonade, Cola und Bier sowie zwei kleine Flaschen Mineralwasser. Ist alle inklusive.
Dann gönne ich mir mal ein spätes Nachmittagsschläfchen. Es hat 36 Grad.
Zum Abendessen gehen wir schon mit Taschenlampe. Der Wald ist leise, als würde er auf etwas warten. Später ringen wir mit unseren Decken und versuchen zu entscheiden, womit wir uns zudecken, denn die Abkühlung auf 26 Grad ist zwar angenehm, aber zum Schlafen immer noch sehr warm, zumal es hier keine Klimaanlage gibt. Am Ende entscheiden wir uns für eine Lage Bettlaken, eher aus psychologischen Gründen. Uru stört das Geräusch im Zimmer, das sie auf die Ventilatoren zurückführt. Als ich sie ausgeschaltet habe, füllt es noch immer den Raum. Schließlich ist klar, es eine Geräuschwoge aus dem Konzert von Grillen und Zikaden im Wald um uns und dem unscharfen, auf- und abschwellenden Orgelton der Frösche vom Rio San Carlos. Beide Gruppen müssen Millionen zählen. Mitten in der Nacht wache ich auf, weil mir kühl ist. Wir legen ein weiteres Bettlaken über uns sowie eine Bettdecke und ich schalte die Ventilatoren aus.