9. November

Nachdem ich gemütlich geduscht hatte, wollte ich mein Duschhandtuch über die geöffnete Badtür hängen. Ich folge also meinen Händen nach oben und sehe, zehn Zentimeter von meiner linken Hand entfernt, einen Skorpion an der Wand knapp über dem Türrahmen. Also lass ich das Handtuch los, gehe ich die Küche, hole das Glas und den Pappdeckel und beförderte ihn (oder ist eine sie?) in den Garten. Hab ja schon Übung.

Ein kleiner schwarzgelber Schmetterling umflattert mich, lässt sich kurz auf er Tastatur nieder, besucht dann meine Nase und schwirrt wieder davon. Das ist schon eher ein Besucher nach meinem Geschmack. Ein zweiter, braun-grauer, sitzt grade auf meiner „Maushand“, vermutlich angelockt durch die Sonnencreme. Hoffentlich ist da nichts Giftiges drin.

Wenn ich von hier zum Zentrum gehe, dann mit der Einstellung eines Anglers, der noch nicht weiß, ob ein Fisch anbeißen wird. Ursprünglich wollte ich mich auf nen Kaffee irgendwo hinsetzen und lesen. Auf dem Weg dahin „treffe ich“ eine alte Indigene, die mich schon mehrmals um Geld angebettelt hat und der ich bisher nur einen Quetzal gegeben habe. Sie liegt auf dem blanken Betonboden und schläft, ihr Hund kuschelt sich hinter ihr an sie dran.

 

Der heutige „Fisch“ ist erst einmal ein Polizist, der am Eingang des Hippie Highway steht (wie so mancher seiner KollegInnen) und dort mit Trillerpfeife einen Verkehr regelt, den es nicht gibt. Ich frage ihn, ob ich ihn „in action“ fotografieren darf. Er grinst, fragt mich, wie ich heiße und woher ich komme, begrüßt mich „offiziell“ in Guatemala und spielt „Model“. Wunderbar.

Der zweite „Fisch“ ist ein Ausflug bzw. eine kleine Wanderung zum Cerro Tzankujil (Cerro=Hügel, Berg), weil ich nicht lesen kann, denn ich habe meine Brille zu Hause gelassen.

 

 

 

Beim Cerro handelt es sich um eine kleine, geschützte Halbinsel. Man bezahlt 20 Q Eintritt und kann dann den ganzen Tag bleibe, sehr gepflegt und die Treppen in Serpentinen hoch zum Gipfel des relativ steilen Hügels sind perfekt angelegt; ist auch als Badeort gedacht; es waren auch ca. 30 Leute zum Baden da, meistens Amerikaner. Das Wasser des Lago wirkt noch erstaunlich sauber, trotz der vielen Einleitungen. Auf dem Weg dahin kam ich wieder an vielen Kindern bei. Wegen des ausgesprochen hohen Is im Spanischen klingen ihre Stimmen in meinen Ohren wie menschliches Gezwitscher. Hab mich auch nach einer Bluse für Inge umgeschaut, aber noch nicht das Richtige gefunden. Eine hier ganz übliche Form der Ansprache, auch in Geschäften, manchmal aber auch irgendwo unterwegs, ist „Hola, amigo!“ Weil ich’s anfangs in Geschäften gehört habe, dachte ich, es sei eine Art Verkaufstrick, das kann es sein, muss aber nicht.

 

10.11.2023

Ab 17 Uhr widme ich mich nur noch dem Roman-Projekt, also voraussichtlich vier bis fünf Stunden.

Denkste. Nach zwei Stunden hat’s mich rausgezogen und ich bin runter zum Lago gegangen in der Hoffnung auf einen schönen Sonnenuntergang. Der war aber schon rum, weil ich mich doch wieder aufgehalten habe. Trotzdem ist noch ein (für mich) beeindruckendes Post-Sonnenuntergangsfoto entstanden.
Unterwegs kam ich an einem Gebäude vorbei, vor dem sieben, acht junge Männer sich im Anzug fotografieren ließen. Im Hintergrund ertönte einheimische Musik und alles wirkte sehr festlich. Auf dem Spielplatz davor war eine blonde Frau mit ihren zwei Kindern, die auch frage, ob sie wisse, was da los sei. Ja, meinte sie, da sei grade so was wie die Mittlere Reife abgeschlossen worden, und die Kandidaten lassen sich grade ablichten. Also hab ich auf den „Schulhof“ die Jugendlichen um Fotoerlaubnis gebeten und mich dann mit dem Fotografen verständigt, der meinte, er habe schönes Fotomaterial über San Marcos, das ich nutzen könne. Da er in Eile war, bin ich ihm in den ersten Stock gefolgt, wo er mir seine E-Mail-Adresse aufgeschrieben hat.

Am Anfang des des Hippie-Highway sitzen zwei indigene Frauen mit ein paar Kindern auf dem Boden und verkaufen geröstete Erdnüsse in Schlalen. Das wäre ja was fürs Abendessen. Sie lassen mich probieren; nicht toll, aber völlig okay. Sie wollen für einen kleinen Beutel 20 Quezales. Das ist mir zu viel, was sie sofort erkennen und plötzlich bekomme ich das bolsita de cacahuetes für 10. Ein kleines Stück weiter sitzt ein alter Mann (70+) auf dem Boden und flicht Taschen, die er zum Verkauf anbietet, ganz offensichtlich kein professioneller Verkäufer. Ich bin schon öfters an ihm vorbeigegangen. Heute setze ich mich zu ihm und er erzählt mir, dass er und ein paar andere Leute zu einem Projekt im nächstgelegenen Dorf gehören und die Preise immer höher klettern, sie sich aber um Kinder ohne Eltern kümmern müssen. Ob das nun stimmt, weiß nicht, aber na ja, klar, er würde sich über einen  Verkauf oder eine „Milde Gabe“ freuen. Er wirkt auf mich ausgesprochen glaubwürdig und gar nicht Mitleid heischend, so dass ich ihm 100 Q schenke.

Endlich mal direkt am See ein Gläschen Wein getrunken und gelesen – wie ich das schon lange mal vorhatte. Zwei Sitzgruppen weiter saß ein junger Mann (na, 39 Jahre alt), mit dem ich irgendwann ins Gespräch kam. Er war ein gebürtiger Großstädter, geboren in der Ciudad de Guatemala, also der Hauptstadt, ein Glückskind, Ingenieur mit einem guten Job (Maintenance Engineer), mit drei Geschwistern, die alle einen Uniabschluss haben. Er macht hier Urlaub für ein paar Tage.

Der Heimweg (200 m dunkel am See lang), dann den ziemlich verlassenen Hippie-Highway hoch und nach Haus hab‘ ich fast ohne Taschenlampe geschafft. Nur die letzten 50 Meter ging gar nicht mehr ohne. Wahrscheinlich hätte ich mir den Weg ertasten können, aber man muss ja nicht übertreiben.

Jetzt ist’s 19.47 Uhr, für die Tropen also finstere Nacht, aber so an die zwei Stunden hab ich vermutlich noch zum Schreiben.

Aber erst mal das Tagebuch.