1. Februar

Gestern war es in unserer „sehr ruhigen“ Nebenstraße sehr laut; im Haus gegenüber spielte sich eine feuchtfröhliche Karibik-Party ab. Als wir zu Fuß dran vorbeikamen, haben sie uns grölend hereingewinkt, aber das war doch nicht nach unserem Geschmack.

Heute hatten wir uns zwei Wandertouren ausgesucht, aber beide sind wegen Dauerregens ausgefallen, also dann hoffentlich morgen. Ersatzweise unternehmen wir eine längere Autofahrt, eine an der panamaischen Grenze entlang bis nach Sixaola. War nichts Besonderes, ländlich zersiedelt wie hier beinahe überall, sofern es kein Regenwaldgebiet ist. Aber die Anzahl der Straßen hier kann man an einer (!) Hand abzählen. Auf dem Rückweg haben wir in Bribrí angehalten; hauptsächlich, weil wir gehofft hatten, dort eine Restbevölkerung der Bribrí zu finden. Das ist ein Indiostamm, dessen eigentliches Dorf sich zwei Tagesmärsche (ohne Straße) im Regenwald befindet, wo noch ein Teil des Stammes traditionell lebt und sich selbst verwaltet. Das gilt übrigens für einige Indiostämme in Costa Rica, das sich auch auf diesem Gebiet sehr modern verhält. Noch vor 20 Jahren musste die Indigenen in staatliche Schulen gehen und durften nicht ihre Sprachen sprechen. Doch im Städtchen Bribrí war (zumindest für uns) von den Bribrí nichts zu sehen.

Wir fuhren dann noch an der Küstenstraße in Richtung Panama, wo es die Bio-Kakao-Plantage Chocoart gab. Die nächste Tour wäre um 14.30 Uhr gewesen, wir waren aber zwei Stunden vorher da. Na gut, wir haben ein paar – sehr köstliche – Schokoladen erstanden, in Manzanillo zu Mittag gegessen und uns auf dem Rückweg zur Posada ein paar Kleinigkeiten (als Abendessen-Ersatz) in einer kleinen One-Woman-Bäckerei, Panaderia, geholt.

Uru traf sich um fünf Uhr mit einer Grafik-Designerin, für die sich schon einmal lektoriert hatte. Die Frau war mit ihrem Mann vor ??? Jahren nach Costa Rica ausgewandert, fühlt sich hier im Großen und Ganzen wohl, kam aber zu dem Schluss, man könne sich mit den Ticos (so nennen sich die Costa-Ricaner selbst) nicht tief anfreunden. Hm …

 

Geier gibt es hier wie in Würzburg die Tauben … Große, stolze, eindrucksvolle Vögel.

Mit einem kleinen Essay begonnen: „Zu Angelas Rehabilitierung. Angela ist nicht gleich Angela – und was das bedeutet.“ Die Idee dazu hatte ich in Würzburg.

Ich gehe immer früher schlafen, diesmal schon um halb zehn.

 

 

 

Die Gilbdrossel ist der Nationalvogel Costa Ricas: nicht spektakulär, aber zart und anmutig. Heute, in dem ganzen Tourismusrummel, hätte man sich bestimmt für den Tukan entschieden:

 

 

 

 

 

2. Februar

Heute Morgen zum Manzanillo Naturschutzgebiet gefahren, wo ein angenehmer, sandiger Fußweg entlang der Küste, ca. 1 km lang, erst einmal zu einem Aussichtpunkt auf einer Felsnase führte. Der weitere Weg führte dann in den Wald hinein und verwandelte sich zusehends in einen Schlammweg. Die Einzige, die dafür angemessenes Schuhwerk anhatte, war Uru, Ila hingegen hatte nur Flipflops an, mit denen das Gehen eher einem Schlamm-Surfen glich mit der ständigen Gefahr, auszurutschen und sich im Schlamm auf den Hosenboden zu setzen. Dementsprechend ging sie wie auf Eiern, ist auch nicht hingefallen, aber hat sich den kleinen Zeh gestaucht/verrenkt. Der ist jetzt mit seinem Nachbarn blau angelaufen und sie humpelt – keine guten Aussichten für einen Dschungel-Hike. Die morgen geplante 9-Kilometer-Tour entlang einer Halbinsel muss deshalb entfallen. Immerhin haben wir wunderschöne, blau schillernde Morphofalter gesehen und werden von Brüllaffengeschrei begleitet.

Nach dem Mittagessen gönnen wir uns ein abgepacktes Bioeis im einzigen Organic Market. Warum abgepackt? Offenes Eis gibt es überall, aber Europäer werden davor gewarnt, Keimfreiheit ist nicht gewährleistet, Magenprobleme sind nicht unwahrscheinlich.

Den Nachmittag entspannt lesend, manchmal sogar dösend zugebracht. Ein seltsames Gefühl für mich. Später dann am Tagebuch geschrieben und wieder aktiv geworden.

Ein Gedanke, der mir seit zwei Tagen durch den Kopf geht. Dass ich vielleicht mit einer Reise in dieses Land den Umweltschutz global betrachtet mehr voranbringe als wenn ich zu Hause bleibe. Warum? Einen wesentlichen Teil der Einnahmen aus dem Tourismus steckt diese alte Demokratie in Natur- und Umweltschutz (ca. 1,5 Milliarden Dollar jährlich) und die Bildung seiner Einwohner. Jedes Dorf, durch das wir fahren, hat eine eigene Schule, Schulpflicht herrscht sowieso. 25 Prozent des Landes stehen unter öffentlich verwaltetem Naturschutz mit 26 Nationalparks (weltweit gibt es noch 13 weitere Länder, die mehr als 23 Prozent unter Schutz gestellt haben), 52 Prozent sind bewaldet (die Entwaldung, die 1980 fast 80 Prozent betrug, ist fast gestoppt); das Land bemüht sich, die Schutzflächen untereinander durch ökologische Korridore zu verbinden. Seit 1983 hat es seine Armee abgeschafft und erklärte seine, mittlerweile in der Verfassung verankerte, „dauerhafte und aktive unbewaffnete Neutralität“. Nahezu 100 Prozent der Energieproduktion stammt aus erneuerbaren Quellen. Bis 2025 soll das Land plastikfrei sein. Was immer das bedeutet, so ist es doch weltweit vorbildlich, für Lateinamerika sowieso. Costa Rica macht 0,03 Prozent der Landfläche der Erde aus, beherbergt aber sechs Prozent der weltweiten Artenvielfalt.

Noch ein Highlight: Laut Wikipedia zählt die Presse des Landes zu den freiesten der Welt und ist, vor Jamaika, die freieste des amerikanischen Kontinents.

Den gestrigen Essay fertiggeschrieben und an die Zeitpunkt-Redaktion geschickt.

3. Februar 2024

Heute ist der Tag mit dem längsten Transfer quer durch Costa Rica, ca. 190 km vom Südwesten in den Nordosten nach el Socorro am Rand des Braulio Carrillo Nationalparks, letztlich eine gemütliche Autofahrt bis auf die letzten neun Kilometer. Die muss man sich ungefähr so vorstellen wie einen steinige, für Jeeps ausgelegten Hochgebirgsweg in den Alpen. Zeitweise musste Gepa ordentlich Gas geben, um sicherzustellen, dass wir hochkamen. Entsprechend wurden wir durchgerüttelt. Aber unfassbar, weit oben mit Blick auf den Vulkan Poas – auf der anderen Seite eines dicht bewachsenen Gebirgstals – sitzen wir im Sonnenschein im Schaukelstuhl, umgeben von lautem Grillengezirp und gelegentlichen Hahnengeschrei von links. Auf dem Weg vom Parkplatz hierher zu unserer Doppelhütte, ca. 150 Meter, mussten wir eine stark bevölkerte Blattschneider-Ameisenstraße überqueren, auf der ordentlich geschafft wurde.

Sogar hier oben ist W-Lan verfügbar.

So einfach kann man Dinge arrangieren: José, unser Hausherr, brachte uns das von seiner Frau gekochte Abendessen (Reis, ganze Bohnen, eine Art Gulasch) in einem großen Korb in den großen „Salon“ herüber, da sein Wohnhaus von unserem Gebäude ca. 200 Meter entfernt ist. In dem Korb waren mit Kunststoffdeckeln verschlossene Glasdosen, das Essen heiß gehalten hatten. Dazu gab es eine Flasche Frontera, ein ausgezeichneter chilenischer Cabernet Sauvignon.

Der „Salon“ ist eine ziegelgedeckte, auf drei Seiten offene, an ihrem höchsten Punkt ca. drei Meter hohe Halle, parkettiert mit quadratischen hellbraunen und dunkelbraunen Bodenfließen und eingerichtet mit vornehmem Ess-Mobiliar, einem großen, runden Fünfer-Tisch im Zentrum (an dem wir essen) und zwei rechteckigen Sechser-Tischen, an denen elegante, schwere Holzstühle mit hohen Rückenlehnen stehen. Zu den drei offenen Seiten hin sieht man in den gepflegten, tropischen Garten, an der Rückseite sind, hinter einem großen, halbhohen Trennregal, Abwaschbecken, Kaffeemaschine, Teeauswahl, Kühlschrank etc. Von dort führt ein kurzer Weg über eine Hintertür zu unseren beiden Hütten.

4. Februar 2024

Die Tage hier zeigen, wie schön die Welt sein kann, voll von freundlichen Menschen, die sich ihr heiteres Gemüt bei dem meist Wenigen, das sie ihr Eigen nennen, bewahrt haben, die Blumen überall, die Kolibris und Vögel, die in ihrer Farbenpracht etwas Paradiesisches haben, der entspannte Fleiß, mit dem die Ticos ihre Häuschen und Gärtchen schmücken, die beeindruckende Beharrlichkeit, mit der die Natur alles innerhalb von Wochen in Besitz nimmt, was der Mensch vernachlässigt.

Die Erinnerung an das Schöne, Wertvolle, Lebendige dient nicht dazu, das Hässliche und Schreckliche unter den Teppich zu kehren; vielmehr stärkt es die Motivation, dem die Stirn zu bieten und sich auf die Seite des Lebendigen zu schlagen. Vielleicht sollte man sich den costa-ricanischen Slogan Pura Vida [reines Leben] zum Lebensmotto machen, als Erinnerung, worauf es ankommt.

Heute komme ich mal ausnahmsweise dazu, mein Romanprojekt ein Stück voranzutreiben, während die anderen zu einem Spaziergang unterwegs sind; und ein bisschen Zeit für die „Brotarbeit“.

Am Nachmittag machen Gepa und ich, geführt von dem 36-jährigen „Gärtner“, eine Wanderung durch den Bergregenwald zu einem Wasserfall; nur vier Kilometer, hieß es. Der Pfad war eher ein Steig, schon aus drei Metern Entfernung nicht mehr zu erkennen, und selbst, wenn man drauf war, nicht immer eindeutig, oftmals auch schlammig, was, wenn man bergab geht, leicht in einer Rutschpartie endet. Ist aber nicht passiert, man musste einfach auf jeden Schritt achten. Ziemlich am Anfang teilten wir unseren Weg auch mit Blattschneider-Ameisen, die auf einer regelrechten Autobahn unterwegs waren. Man hatte uns nahegelegt, Badehosen mitzunehmen (ich hatte mir meine gleich angezogen). Der Wasserfall war schön anzusehen, das schäumende Weiß aus einem schäumenden, tropischen Grün heraus. Aber die kleine Lagune zu seinen Füßen war allenfalls hüfttief, nichts, wo wir hätten schwimmen können.

 

Aber dann erfuhren wir, dass es einen zweiten Wasserfall gab, ca. 800 Meter weiter. Wir kamen an den Fluss, aber von einem Wasserfall war nichts zu sehen. Unser Führer bedeutete uns, dass wir am Flussufer entlang flussaufwärts gehen mussten. Nur war da kein weg, sondern nur überspültes Geröll und große, glitschige Steinbrocken. Am Ufer war einige Meter lang ein Seil befestigt, an dem wir uns durchs Wasser watend, würden festhalten können. Das war also der Grund für die Badehose. Jetzt hieß es, klein beigeben oder sich ausziehen und sich auf eine Rutschpartie einlassen. Nun, wir zogen uns aus und glitten am Uferseil ins Wasser, das uns anfangs bis über die Hüfte reichte. Das Flussbett war steinig und jeder Schritt tendenziell schmerzhaft. Manchmal war der „Weg“ leichter, weil man von einem großen Stein zum nächsten springen konnte, immer bedacht, keine glitschige Stelle zu erwischen, denn wäre man unbedingt abgeglitten und gestürzt. An zwei Stellen war die Strömung so stark, dass auch dort in Seil lag, an dem man sich durchs Wasser ziehen konnte.

 

 

Dann kam der zweite Wasserfall in Sicht, mit einem dunklen, glasklaren, tiefen Teich davor. Nur noch wenige Meter waren zu schaffen, unser Guide und Gepa waren schon angekommen, als ich einen unachtsamen Schritt tue (verdammte Vorfreude), zwischen zwei großen Steinen ins Wasser falle und mir am Schienbein wehtue. Nichts Schlimmes zum Glück, das ist sofort klar, als ich mich aus dem Wasser hochrapple, nur ein kleiner Schmerz und ein bisschen Blut am Schienbein und an einem Zeh. Nachdem ich ohnehin patschnass bin, gleite ich gleich in den Pool unter dem Wasserfall. Das Wasser dürfte ca. 18 Grad gehabt haben und war so tief, dass ich mit den Füßen den Grund nicht erreichen kann. Ich schwimme auf dem Rücken, mit dem Blick zum Dschungel und Himmel, bis kurz vor das herabstürzende Wasser, bevor ich mich von der Strömung wieder zurücktreiben lasse.