8. November

Gestern Abend hatte ich noch ein ebenso überraschendes wie erschreckendes Erlebnis für einen so harmlosen Westler wie mich. Ich hatte beschlossen, ins Bett zu gehen, brachte Laptop und Tastatur rein ins Zimmer, brachte meine leere Kakaotasse zum Waschbecken, wusch sie aus und wollte ins aus der Miniküche ins Zimmer zurückgehen, als ich einen dunklen Fleck auf den Bodenfliesen sah. Beim näheren Hinschauen war’s ein Skorpion, der da gemütlich entlangkrabbelte.

Hm, was tun. Ich war erschrocken. Natürlich hätte ich das ca. fünf Zentimeter lange Tier mit einem Schuh totschlagen können … Ich sah mich nach einem Glas um und nach einem Pappdecken zum Drunterschieben. Dazu riss ich den Deckel der Teebeutelschachtel ab. Als ich mich umdrehe, ist der Skorpion verschwunden. Jetzt schlafen gehen und so tun, als wäre nichts, war auch keine Alternative. Als die Handytaschenlampe eingeschaltet und gesucht. Unter dem Bett finde ich ihn krabblend wieder. Erst wendet er sich dem Lichtschein entgegen, entscheidet sich dann aber umgekehrt, so dass ich ihn auf der anderen Seite des Bettes erwischen kann. Ich stülpe mein Wasserglas über das Tier und schiebe den Karton vorsichtig darunter. Jetzt kann ich ne kleine Videoaufnahme für alle Skorpionfans machen (zu denen ich nicht gehöre). Danach nehme ich ihn auf dem Karton und unter dem Glas vor die Tür, gehe vorsichtig ins Dunkle zu den Pflanzen und schleudere ihn dort hinein. Adieu mein unerwünschter Besucher!

Ich lese nach und stelle fest, dass von den vermutlich 1500 Arten der Spinnentiere „nur“ ca. 20 gefährlich sind. Ob mich jetzt diese Statistik beruhigt? Jedenfalls hat sich in mir spontan eine andere Einstellung zum barfuß Gehen bei Nacht entwickelt.

Heute Morgen ist die Sonne so heiß, dass ich die schwarze Maus, die zu verglühen scheint, in Sicherheit bringe und neben mir auf einem Stuhl für sie einen Schattenplatz „baue“. Die Laptop-Tastatur, die ich nach nicht benutze, sondern mit ner externen arbeit, schütze ich mit zwei Blatt weißem Papier.

Zwei riesige Jagdvögel kreisen am Himmel, Geier, erzählt mir Carlos später.

Der Himmel hat sich bezogen und die Hitze hat nachgelassen. Carlos lädt mich auf einen „Walk“ ein. Wir laufen nach Tzununa, dem nächsten Örtchen nach San Marcos. Hin und zurück 7,3 km, ich hab auch jeden Fall geschwitzt (manchmal gings doch auch ordentlich bergauf), denn Carlos‘ Beine sind ein Stück länger als meine. Tzununa ist in gewisser Weise wie San Marcos; schaut man auf Google Maps, dann sind da Orte eingetragen wie Gaia Dance Temple, Atitlan Organics oder Doron Yoga. Irgendwo in den Bergen zwischen hier und dort gibt’s den „Golden Temple“. Wanderweg war das keiner (keine Ahnung, ob’s hier so etwas gibt), sondern eine Straße (die hier an manchen Stellen aussieht wie mehrere Gebirgswanderwege nebeneinander), aber immer mit einem schönen Blick auf den See und den Volcán de Atitlan. Meistens verkehren hier TucTucs, aber gelegentlich rumpelt auch ein Laster vorbei und man wundert sich, dass seine Achsen halten. Carlos meinte, man könne auch über die Berge gehen, aber man wisse nie, wem man da begegne, der dann doch Geld und/oder das Handy wolle. Er selbst bleibe, auch wenn er den Berg hochgehe, immer im Gebiet von San Marcos, weil man ihn hier kenne.

Danach setzen wir uns ins El Giardino und ich bestell mir ein Bier. Auf dem Etikett steht doch glatt „Bock Bier“. Hat gut geschmeckt, zum Glück nur 0,33 l.

Eben, 17.17 Uhr, waren zwei junge Leute bei mir, eine hübsche junge Frau und ein langhaariger Indigener, Mitglieder in Carlos‘ Band, die aus der Kammer ein paar Sachen rausholten. Dabei wurde die junge Frau von einem Scorpion gestochen. Ihre Reaktion war vergleichbar zu unserer, wenn wir einen Bienenstich abbekommen. Sie lief dreimal auf meiner Veranda auf und ab und jammerte, bevor sie sich damit abgefunden hatte und sie weiterarbeiteten. War letzten Endes beruhigend für mich und spielte sich eineinhalb Meter neben mir ab.

Gestochen möchte ich trotzdem nicht werden. Irgendwie hat das Skorpionerlebnis der Situation hier die Unschuld genommen. Den Fußabstreifer habe ich eng an den Schlitz unter der Tür geschoben. Da kommt kein Skorpion mehr durch. Leider ist er nicht breit genug. Rechts und links klaffen zwei, drei Zentimeter. Aber vielleicht ist der nächste Kandidat ja nicht clever genug, die ganze Türbreite abzusuchen. Hopefully – ojalla!