Am 25. Oktober fahre ich mit dem Zug nach Frankfurt, am 26. fliege ich um 10 Uhr vormittags nach Houston/Texas und von da aus weiter zum Flughafen La Aurora bei Guatemala City, der Hauptstadt des Landes. Immerhin kenne ich ein paar Fotos und die begeisterten Schilderungen meines Ältesten, Alistair. Und stelle doch fest, dass die Fotos mir das Land nicht wirklich näherbringen, genauso wenig, wie das Postkarten tun.
Die fünfwöchige Reise hat etwas von einer Expedition: Ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Ich spreche ein paar Grund- und Grunzlaute des Spanischen, mehr nicht. Ich glaube zu wissen: Das Land ist das Gegenteil der deutschen Ordentlichkeit. Recht und Ordnung hängen am eher willkürlichen Faden der Eliten. Und die sind grade von Machtverlust bedroht – genug, dass das Auswärtige Amt schreibt:
„Von nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Guatemala wird derzeit abgeraten … Aufgrund der politischen Lage nach den Präsidentschaftswahlen wurden aktuell im ganzen Land Straßenblockaden errichtet und es finden teilweise gewaltsame Proteste statt. In den an den Protesten teilnehmenden Gemeinden können jederzeit Konflikte zwischen Sicherheitskräften und Demonstrierenden ausbrechen.
- Meiden Sie Demonstrationen und größere Menschenansammlungen weiträumig.
- Folgen Sie unbedingt den Anweisungen lokaler Sicherheitskräfte.
Guatemala verzeichnet eine hohe Kriminalitätsrate. Neben der allgemeinen Straßenkriminalität ist Guatemala auch Schauplatz von Auseinandersetzungen im Bereich der Bandenkriminalität. Die Hemmschwelle beim Einsatz von Gewalt ist niedrig. Das Risiko von Überfällen und Übergriffen besteht grundsätzlich auch in Touristenzentren wie Antigua, Flores, Tikal und am Atitlán-See sowie beim Besuch von Vulkanen.
Leisten Sie bei Überfällen keinen Widerstand und führen Sie möglichst einen kleineren Geldbetrag in einer getrennten Geldbörse und evtl. ein zweites Mobiltelefon mit sich.
Bevorzugen Sie bargeldlose Zahlungen und nehmen Sie nur das für den Tag benötigte Bargeld und keine unnötigen Wertsachen mit.“
Mit anderen Worten: spannend.
Nun kenne ich zwar Alistairs neue Freundin Lucia, eine im Land gut vernetzte Guatemaltekin, die uns im Frühjahr in Deutschland besucht hat. Das verschafft mir faktisch ein wenig Sicherheit. Und ich werde ihre Mutter Carol Zardetto, eine Schriftstellerin und Journalistin, kennenlernen – was das bisschen Sicherheit konterkariert. Denn sie hat als politische Kolumnistin für die guatemaltekische Zeitung El Periódico gearbeitet, die im Mai ihr Erscheinen einstellen musste. Ihr Gründer Rubén Zamora Marroquín wurde 2023 zu sechs Jahren Haft verurteilt, angeblich wegen Geldwäsche.
Natürlich gibt es in mir raunende Stimmen, die warnen: „Mach das nicht. In deinem Alter! Und überhaupt: Wer weiß, wie das ausgeht. Du, ganz allein in einem total fremden Land, ein für dortige Verhältnisse reicher, alter weißer Mann. Du bist doch das gefundene Fressen.“ Zum Glück werden die Stimmen nicht lauter. Ich begrüße sie mit einem Schulterzucken und irgendwie mit einem innerlichen Grinsen. Man wird sehen.
Jedenfalls werde ich meinen Plan nicht aufgeben.
Neueste, zwei Tage alte Info der Deutschen Welle: „In Guatemala blockieren Tausende von Demonstranten rund 125 Straßen im ganzen Land. Viele Geschäfte, Unternehmen und Märkte haben geschlossen. Gemüse und Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sind bereits knapper geworden. Auch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Tomaten, Bohnen, Zwiebeln und Kartoffeln haben sich verdoppelt oder verdreifacht. All das nehmen sie in Kauf, damit der Weg frei wird für den Präsidenten, den sie im August gewählt haben.“ Gemeint ist damit Bernardo Arévalo de León.
Ich denke, den Tipp mit einer Kopie der Pässe online werde ich umsetzen.