Die Suche nach dem Sinn ist ein zentrales, wenn nicht sogar DAS Hindernis für den Erfolg der sozial-ökologischen Transformation. Aber nicht nur das, diese Suche ist gewissermaßen der Gipfel der Hybris, jedenfalls meistens. Alle diese SucherInnen sollten sich auf den Hosenboden setzen und lieber aktiv zum Großen Wandel beitragen, statt – in aller Regel ergebnislos – in sich zu gründeln.

Die Gehmeditation des Hahns

Warum spreche ich von Hybris? Stellen wir uns einmal eine Gruppe von Schimpansen vor. Sie sitzen locker übers Gelände verteilt, und einer von ihnen schaut, sich am Genital kratzend, nachdenklich in den Dschungel. Warum? Ganz einfach, er denkt über den Sinn seines Lebens nach. Beweisen Sie das Gegenteil! Oder wir knöpfen uns gedanklich ein Gehege frei laufender, glücklicher Biohühner vor. In deren Mitte stolziert ein Hahn nachdenklich auf und ab, bevor er schließlich innehält und markerschütternd kräht. Er hat nämlich im Verlauf einer Gehmeditation über den Sinn des Lebens nachgedacht, ihn gefunden und seinem Harem lautstark verkündet. Beweisen Sie das Gegenteil! Vollends absurd erscheint uns die Vorstellung, eine Qualle könnte über den Sinn ihres Lebens nachdenken, oder die Rose im Vorgarten oder der Grashalm auf der Wiese neben ihr.

Die Mitwelt als Verfügungsmasse

Aber warum erscheint uns das absurd? Weil wir fest daran glauben, dass wir etwas Besonderes sind, wichtiger und wertvoller als der Rest der Mitwelt; denn schließlich können wir denken – im Gegensatz zum Schimpansen oder Hahn, zur Qualle, Rose oder zum Grashalm. Aber ist das so mit Gewissheit? Und außerdem: Selbst wenn sie alle nicht denken könnten (was ich persönlich bezweifle), heißt das, dass sie keinen Sinn haben? Hat ein Kind keinen Sinn, auch wenn es als Einjähriger einem Schimpansen deutlich unterlegen ist? Und wie steht es mit geistig Behinderten?

Spätestens an dieser Stelle wird die Hybris überdeutlich. Dem Rest der Mitwelt einen Sinn abzusprechen, erhebt den Menschen auf eine besondere Stufe. Er ist dann geschieden von dieser dummen, gedankenlosen Mitwelt und kann mit ihr machen, was er will. Er erkennt sich als die mit Bewusstsein ausgestattete Krone der Schöpfung, der Rest besteht für ihn aus Verfügungsmasse.

Wie viele Sinnformen gibt es?

Nach alldem lässt sich vielleicht nachvollziehen, weshalb für mich in der Frage nach dem Sinn des Lebens – von dem Tausende von Seminaren leben – immer etwas Eitles mitschwingt. Aber leider auch etwas – für mich – Törichtes eines gewissen Bildungsbürgertums. Wie, bitteschön, kann es für irgendjemanden DEN Sinn des Lebens geben? Ist es nicht offenkundig, dass es sich bei der Frage nach dem Sinn um eine Gedankenkonstruktion handelt, und zwar vom Anfang bis zum Ende? Wann stellt sich der Sinn ein bzw. kann er sich überhaupt einstellen: mit fünf Jahren, mit zehn Jahren, in der Pubertät, mit dreißig Jahren oder mit siebzig Jahren? Kann ich einen Sinn entdecken unabhängig von meiner Lebenssituation? Ändert sich nicht mein Sinn augenblicklich, wenn ich mich zum ersten Mal verliebe? Wenn ich zum ersten Mal massiv Leid erfahre? Wenn ich zum ersten Mal für ein Kind zu sorgen habe? Oder wenn ich mit meinem eigenen Ende konfrontiert bin? Sind das dann verschiedene Sinnformen? Oder was?

SinnsucherInnen werden dringend gebraucht

Aber was bringt mich als Autor auf den Gedanken, die Suche nach dem Sinn sei ein Hindernis für die Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation? Hinter dieser Behauptung verbirgt sich eine Annahme: dass nämlich Frauen und Männer, die sich auf der Suche nach Sinn von Seminar zu Seminar durchschlagen, zu dem wichtigen und gar nicht so kleinen Teil der Bevölkerung gehören, den wir für die sozial-ökologische Transformation dringend benötigen. Denn SinnsucherInnen sind Menschen, die an den Sinnversprechen der Konsumgesellschaft – Genuss und Profit ­– zweifeln bzw. sogar verzweifeln. Doch solange sie ihre Energie in ihr Ego investieren, stehen sie der Großen Transformation nicht zur Verfügung.

Dabei ist die Antwort auf die Sinnfrage so einfach: Nimm den nächstbesten Baum – sofern du keinen Schimpansen zur Verfügung hast – und begib dich auf seine Sinnebene. Dass es nämlich für ihn und für dich genügt zu sein; dass der Sinn darin besteht, dass wir – wie er – SIND, nicht mehr und nicht weniger. Und dass dieses Sein uns alle ebenbürtig macht – uns, den Hahn, die Qualle, die Rose und den Grashalm. Ebenbürtig, nicht überlegen. Ist das nicht letzten Endes eine ausgesprochen entspannende Einsicht? Die Konsequenzen freilich sind enorm.