11. November

Ich und meine Vergesslichkeit sind die besten Freunde. Gestern Abend hatte ich auf dem Weg zum See eine Papaya und ein Riesencookie besorgt (quasi als Brotersatz), die Tasche aber nach de Gespräch mit dem Ingenieur neben meinem Sitz liegen lassen. Das hab ich erst bemerkt, als ich schon zu Hause war. Also ging ich heute Morgen – flott, flott – zum See in der Erwartung, sie sei zwischen den Tischen und Stühlen unbemerkt geblieben. Denkste. Alles war peinlich sauber aufgeräumt und die Tische – offenbar zum morgendlichen Fegen – waren beiseitegestellt. Na ja, ca. 1,6 km Fitnesswalk. Also hab ich das heute Vormittag nach meiner Datenbankarbeit nachgeholt und gleich am See meine Vokabel von gestern notiert. Wie zu erwarten, war meine Tasche unversehrt, und ie Hälfte des Cookies wurde mein Frühstück (10 cm im Durchmesser, ca. 2 cm dick mit Hafer, Kokos, Honig, Zimt und Kakao, gar nicht süß).

Mit dem Schreiben komme ich ganz ordentlich voran, aber noch ist der Rückzug (Retreat) nicht so vollständig, wie ich mir das wünsche. Vorgestern Abend hatte ich alles bisherig Geschriebene (aus ca. einem Jahr) durchgearbeitet und ergänzt, gestern dann schon in Teilen weitergeschrieben. Erstaunlich, wie viel so zusammenkommt (und ich habe nicht den Eindruck, auch nur beim ersten Viertel angelangt zu sein: 105 DIN-A4-Seiten und 55.732 Wörter). Jetzt, Punkt 12 Uhr mittags, geht’s weiter.

Mini-Erfahrung zwischendurch: ein kühles Glas Wasser mit dem Saft einer halben Limone – was für eine Erfrischung. Limonen gibt’s hier in Massen, Zitronen eher gar nicht.

Ab Mittag hab ich mich ca. zwei Stunden mit meinem Roman beschäftigt, hatte einige gute Gedanken und auch ne kleine Textstrecke. Aber dann erwachte die Lust auf Kaffee und Kuchen, den’s hier ja in guter Qualität gibt. Allerdings ist das eine Erfahrung aus Antigua. Auf dem Hippie-Highway gibt’s bestimmt was, danach hab ich noch nicht richtig geschaut. Als ich an der Bäckerei vorbeikomme, wo ich mir heute Morgen ein Brot besorgt hatte, denk ich mir: Warum nicht hier, die haben gute Sachen. Und tatsächlich hatten die ein prima Vollkornkuchenstück, wie du es nie in Guatemala erwarten würdest. Der jungen Frau an der Kasse, bei der sich herausstellt, dass sie Englisch spricht (kein Wunder, ist ne Engländerin, wie ich nachher erfahre), mache ich ein Kompliment über das ausgesprochen moderne Angebot und frage, wer hier der Chef ist? Ich, sagt sie, und mein Partner aus Deutschland.

Na ja, von da war’s nicht mehr weit, bis Philip und ich zusammen an einem Tisch saßen, ein netter, wuschelköpfiger junger Mann so um die 35. Er erzählt mir von seinem Weg, der ihn hierhergeführt hat und dass er sich auch Sorgen um den Lago mache. Experten geben dem See noch 15 Jahre, bevor er kippt. Mit anderen Worten: Mein heutiger „Fischzug“ war erfolgreich. Wir haben für nächste Woche Donnerstag, 16 bis 20 Uhr nen Interview-Termin vereinbart zu vier Themen:

  • Du kannst aus Deutschland abhauen, wenn du nur willst
  • Ein deutscher Bäcker in Guatemala
  • Indigene im modernen Leben
  • Die irreführende Berichterstattung über das „unsichere“ Guatemala

Na, wenn das nichts ist. An Alistairs „Rettet-Den-See-Projekt“ würde er sich auch gerne „irgendwie“ beteiligen.

Noch was Interessantes. Rechts neben mir befindet sich die Tür zu der bereits erwähnten Rumpelkammer. Heute Morgen saß da, knapp vom Türspalt entfernt, eine ziemlich große Spinne, ich würde mal sagen: von Beinende zu Beinende ca. fünf Zentimeter. Als ich mein Handy genommen hatte und mich ihr näherte, um sie zu fotografieren, verschwand sie blitzschnell im Türspalt. Schade.

Vorhin saß sie da wieder. Diesmal war ich viel vorsichtiger, schlich Zentimeter für Zentimeter heran und bekam sie ganz gut ins Bild. Ich hab nachgeschaut: Die quergestreiften Beine sind typisch für Vogelspinnen. Vielleicht war’s also gar kein Skorpion, was der jungen Frau neulich wehgetan an, sondern dieses Tier? Auf tier-arten.de/Spinnenarten.php lese ich: „Der Biss von Vogelspinnen ist für Menschen meist nicht lebensgefährlich.“ Na, dann ist ja alles gut.