Letzthin bin ich in Gedanken durchgegangen, was man sich üblicherweise wünscht zu Weihnachten: frohe Weihnachten, fröhliche Weihnachten, frohes Fest, schöne Festtage; und mich dann gefragt, wer das noch wirklich ernst meint oder noch genauer: wie ernst das überhaupt gemeint sein kann? Damit will ich nicht auf dem alten Gedanken herumreiten, dass Weihnachten zum Konsumfest verkommen ist. Sorry, mit 68 Jahren habe ich diese Klage mindestens schon 30-mal gehört. Nachdenklich werde ich eher bei dem Wort „Fest“.

Wenn ich an „Fest“ in seiner ursprüng­lichen Form denke, dann sehe ich Deutschland, sagen wir mal, vor 300 Jahren, also 1721. Der größte Teil der Bevölke­rung lebte von der Hand in den Mund, Hunger, Krankheit und Tod waren für die meisten von uns die ständige Begleitung und Bedrohung. Aber manchmal blieb doch etwas übrig, das man beiseitelegen konnte für besondere Gelegen­heiten. Und wenn dann jeder von seinen Habselig­keiten etwas dazutat, alle die Großmütter und -väter, die Mumen und Oheime, Vettern und Basen, Nachbarn und das ganze Dorf, dann konnte ein „Fest“ gefeiert werden. Und Groß und Klein war dabei. Dann zog man seinen Sonntagsstaat an, vergaß für ein paar Stunden alle Mühsal, tanzte und war „guter Dinge“. Und vielleicht hat man dann, vor dem nächsten Unwetter, der nächsten Dürre, vor dem nächsten Übergriff des Gutsherren oder dem kommenden Krieg, bereitwillig und lustvoll „über die Stränge geschlagen“, ein- oder zweimal im Jahr. Was für rauschende Höhepunkte müssen das gewesen sein!

Und heute? Was ist heute ein Fest? Jeder Kindergeburtstag ist ein Fest, jede Grillparty, jedes Club-Wochenende. Und wenn junge Leute abends weggehen, dann treffen sie sich zum „Feiern“. Nach einem Grund muss man nicht fragen, Feiern ist Selbstzweck geworden. Die Zweieinhalbliter-Flasche ist für ein paar Euro zu haben. Es geht uns so gut, dass wir jede Woche Feste feiern können. Und natürlich erodiert die Freude im Dauerregen der Spaßveranstaltungen, und das Wort „Fest“ bekommt in so einer Situation einen lauwarmen Geschmack, Weihnachten hin oder her.

Ich selbst bin ja so gar kein Feiertyp. Ein Gläschen Rotwein, ein gutes Gespräch, Nähe genießen, Vertrautheit mit Menschen, die ich mag und die mich mögen, nachdenkliche, ja auch besinnliche Stunden: gerne. Da blitzen dann immer wieder mal Minuten auf, die zu feiern sind oder doch wären, kurze Glücksspritzer auf die Alltagssuppe.

Vielleicht können wir ja die momentan gültige, innere Logik des Feierns wenden. Statt uns orgiastisch Seele, Herz, Hirn und Magen immer mehr auf- und abzufüllen, so dass am Ende nichts mehr hineinpasst, könnten wir doch auch den umgekehrten Weg einschlagen. Wir könnten den Blick auf die Welt und unseren Umgang mit ihr verlangsamen, innehalten, horchen, uns nicht dicht machen, sondern uns leer und bereit machen, schauen, was kommt: Regen, der die Erde fürs Frühjahr tränkt, Sonnenstahlen im Winter, ein mit Liebe gekochtes Gericht, ein besonderer, feiner, würziger Duft, eine ernst gemeinte Umarmung, ein warmer Blick, ein echtes Lächeln, ein wertvoller Mensch; ein „Schwamm drüber“, eine Verständigungsbereitschaft, ein Hoffnungsschimmer. So kämen vielleicht auch die Unchristlichsten und Zynischten, die Scrooges unter uns, dem Kern eines Begriffes auf die Spur, den Charles Dickens 1842 den „Geist der Weihnacht“ nannte. Das wäre mir dann tatsächlich eine Feier wert.