Ich versuche, mich einer Intuition zu nähern:

Wenn ich mich an gestern erinnert möchte, dann sind das wenige Minuten eines ganzen Tages, die ich bewusst aufrufen kann. Selbst Erinnerungskünstler bringen es vielleicht nur auf eine halbe Stunde von mindestens 16 Stunden. Der Rest besteht aus Leerstellen. Je weiter die Tage zurückliegen, desto mehr breiten sich die weißen Flecken auf der Erinnerungslandkarte aus. Und doch erleben wir unser Leben als Kontinuum, ein Identitätstrick unseres Gehirns, der uns die geistige Gesundheit wahren lässt.

Ähnlich trickreich verhält sich unser Gehirn beim Sehen. Man weiß, dass aus physiologischen Gründen unser Augen sich nur auf genau einen Punkt in der Welt vor uns scharfstellen können. Trotzdem haben wir den Eindruck, das ganze Bild sei scharf. Das ist möglich, weil unsere Augen in Mikrobewegungen schnell verschiedene Punkte erfassen. Unser Gehirn setzt diese Informationen zu einem durchgängig scharf wirkenden Bild zusammen.

Ähnliche Tricks erahne ich in meiner Wahrnehmung von Zeit – oder im Kleinen: von Vorgängen. Für mein Gefühl kann unsere Konzentration auch immer nur einen Moment scharf erfassen, dann den nächsten und den nächsten usw. – also ganz ähnlich, wie eine Filmkamera lauter Einzelbilder schießt und diese als scheinbare Bewegung darstellt, üblicherweise 24 bis 30 Bilder pro Sekunde. Vermutlich macht es unser Gehirn ganz genauso. Wenn ich also Wasser in den Vorratsbehälter der Kaffeemaschine gieße, dann erscheint mir das wie ein zusammenhängender, flüssiger Vorgang, weil mein Gehirn – sagen wir mal – 30 Momentaufnahmen pro Sekunde macht.

Das finde ich als Gedankengang schon verblüffend genug. Der eigentliche Clou ist aber dieser: Achtsamkeit im Sinne von konstanter Wahrnehmung dessen, was ist, geht mir verdammt schnell verloren. Seit Jahren experimentiere ich damit und kann bestenfalls von kleinen Fortschritten berichten. Warum ist das so? Und nun die Ahnung: Weil ich der Zauberkunst meines Gehirns aufsitze und meine, ich könnte einen Vorgang beobachten, mich also mental auf so etwas wie einen Vorgang einstelle, den es gar nicht gibt. Tatsächlich gelingt aber die Achtsamkeit viel besser, wenn ich Vorgänge als das betrachte, was sie sind: zusammengesetzte Momente, eine Addition von Hier und Jetzt.